Das geheimnisvolle Tuch
Jede einzelne Phase seiner nächtlichen Gespinste wurde irgendwann zur Wirklichkeit
„Hilf mir doch. Die können dich doch nicht sehen. Tu was!“
„Irrtum! Sie sehen mich. Bei Angst in einer höchsten Gefahr werde ich sichtbar.“
„Was nun? Kannst du nicht zaubern?“ Vinc wusste, dass seine Aufforderung nur aus der Furcht entstand.
Zublas Antwort trug nicht gerade zur Beruhigung bei: „Wenn ich große Angst habe, sowieso nicht. Da wirken die Zauberkünste nicht.“
Der Junge merkte, wie die Schlangen an seinen Beinen entlang glitten.
Er fasste in seiner Verzweiflung den Entschluss, einfach fortzulaufen, egal wohin, obwohl die Enge des Baues keine allzu große Chance zum Entkommen hergab.
Vinc eilte, gefolgt von Zubla, zurück zur Tür. Doch er fand sie nicht. Panikartig liefen sie wieder in das Innere, hoffend, doch noch den Ausgang zu entdecken. Da spürten sie plötzlich einen Luftzug. Sie hörten vor sich ein eigenartiges metallenes Geräusch, so als fiele etwas ständig auf einen Steinboden, aber in der Dunkelheit schwer zu erkennen.
„Halt“, schrie Zubla „da ist eine große Gefahr!“
„Was ist es?“, wollte Vinc wissen.
„Ich weiß es nicht. Ich werde nachsehen. Meine Augen kommen mit der Dunkelheit besser zurecht als die deinen.“ Der Junge mahnte Zubla zur Vorsicht.
Es dauerte sehr lange, bis ein Rufen Zublas die Stille unterbrach: „Komm vorsichtig näher! Aber sehr behutsam, sonst bist du tot.“
Vinc tat wie ihm geheißen, er näherte sich mit bedachten Schritten der Stimme.
„Bleib stehen!“, befahl sein kleiner Freund.
Der Junge hörte einen in seiner Nähe klingenden Aufprall. „Wo bist du?“, rief er nach seinem Begleiter.
„Hier neben dir. Gehe keinen Schritt weiter, sonst erwischt es dich.“
„Was erwischt mich?“
„Das Fallbeil.“
Erschrocken wich Vinc zurück, gerade rechtzeitig, um dem glänzenden Etwas, das vor ihm niedersauste, auszuweichen. Hinter diesem fallenden Gegenstand sah er eine erleuchtete Öffnung, wohl die Ursache des Luftzuges, den er spürte.
Der Spalt war nur so groß, dass er kriechend hindurch konnte, wissend, wenn er nicht schnell kroch, ihn das Beil in verletzen würde, denn es hob und senkte sich in kurzen Abständen.
Hinter ihm puffte etwas und als er sich umdrehte, sah er, wie sich etwas entzündet hatte. Eine Feuerwalze kam auf sie zu. Vinc fragte sich, wer das Feuer gelegt haben mag?
Die Decke, der Boden und die Wände waren aus massiven Steinen gebaut, deshalb stellte sich die Frage, wieso das Feuer Nahrung fand.
„Du bist doch so groß wie die Öffnung. Kannst du etwas dahinter sehen?“, fragte Vinc verzweifelt.
„Ja, Steine, sonst nichts“, teilte der Kleine seine Beobachtung mit. „Das ist eine Falle.“
„Sagt das auch dein Gefahrenhirn?“
Der Gnom lachte und hüpfte. Das tat er immer, wenn er meinte, gefoppt zu werden und eine spaßige Antwort zurückgeben wollte: „Nein, das sagt ausnahmsweise mein richtiger Verstand.“
„Hey, die Frage war ernst gemeint“, sagte Vinc, der das Verhalten seines Begleiters inzwischen deuten konnte.
„Schon gut“, antwortete Zubla. „Lange halte ich die Hitze nicht aus, lass uns in den äußersten Winkel nach rechts gehen.“
Sie schritten vorsichtig in die angegebene Richtung, in der sie dann ratlos standen, während sich das Feuer stetig näher heranwalzte.
„Möchte nur wissen, wer uns umbringen will.“ Vinc Stimme hörte sich durch die sich entwickelnde unerträgliche Hitze und den dadurch bedingten vertrockneten Lippen und dem pelzigen Geschmack im Mund schwach an.
„Nicht, wer uns umbringen will, sondern eher die Frage: Wer will verhindern, dass wir in den Turm gehen. Umbringen konnte man uns schon längst“, folgerte Zubla.
„Das wäre zu auffällig gewesen. Im Schloss würden unsere Leichen entdeckt werden. Nein, nein. Hier im Feuer ist es sicherer uns verschwinden zu lassen. Wir verbrennen, alles zerfällt zu Asche. Wir sind nicht mehr vorhanden“, entgegnete Vinc mit klebriger Zunge. „Denken wir einfach nach, was wir machen können.“ Jetzt erst, als er keine Antwort bekam, bemerkte er das Fehlen seines Begleiters.
Ein klappendes Geräusch, ein Schrei der Stimme Zublas, dann Stille.
„Zubla! Wo bist du?“ Keine Antwort. Er ahnte Fürchterliches. War Zubla zurückgegangen und in das Fallbeil geraten?
Er lief in die Richtung, aus der der Schrei kam, er sah eine geöffnete Luke im Boden und knapp in der Höhe einen Hebel, der für große
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