Das Gelobte Land
Plastikgeruch so dick, dass man ihn mit einem stumpfen Messer hätte schneiden können. Wir setzten uns in die letzte Sitzreihe und sahen aus dem Fenster.
Die Wegstrecke zog sich Ewigkeiten hin, und dauernd hielt der Bus und ruckte wieder an. Zuerst verfolgten wir, was alles
zu sehen war, aber dann wurde es langsam langweilig, man wollte nur noch hinauskommen. Dann hob sich unsere Stimmung, als wir Sun Records aus dem Busfenster sahen, eine kleine, garagenähnliche Hütte mit einem Schild über dem Giebel, das gleiche alte, das man in allen Rockbüchern sieht. Dort lag die Plattenfirma der Pioniere an der Straßenseite, in einem Haus so niedergedrückt und traurig wie ein Reykjavíker Fischgeschäft, aber dann ruckte der Bus wieder an, und wir sahen diese berühmte historische Stätte nie wieder.
Endlich waren wir auf dem Elvis-Presley-Boulevard angekommen. Alles trug dort den Namen des Rockers, Gott hab ihn selig: die Elvis-Presley-Eisbude, die Elvis-Presley-Kneipe; auch die Reinigung, der Schuster, das Weingeschäft, der Kiosk und die Apotheke waren nach ihm benannt, und die gesamte Länge des Bürgersteigs entlang standen auf beiden Seiten Verkäufer mit ihren Ständen und boten Souvenirs zur Erinnerung an den Meister an. Wir besahen uns das Zeug im ersten Zelt, T-Shirts mit dem Bild des Verstorbenen, Anstecker mit I love you und Bild, Flaschenöffner in der Form seiner Gitarre, Kassetten mit seinen beliebtesten Songs. Wir kauften nichts, aber überall waren Frauen mittleren Alters mit glänzenden Augen und hamsterten.
Und dort war das Schloss, Graceland , obwohl es vielleicht kein Schloss war, sondern eher ein überdimensioniertes Einfamilienhaus im klassischen neureichen Stil. Wir schoben das quietschende Eingangstor auf und gingen in den Park; dort standen überall Frauen und machten mit einfachen Kameras Knipsbilder vom Haus. Einige verwendeten Blitzlichtwürfel in der Sonne. Wir gingen die Treppen zum Eingangsportal und zum Altan hinauf, aber nirgends waren die Türen zu öffnen. Wir hatten irgendwo gelesen oder gehört, dass das Haus jetzt ein Museum war, das die Gäste von oben bis unten besichtigen
konnten; die Videoräume, die Kleiderschränke, die riesigen, weichen Betten, das Schlafzimmer, in dem er starb; aber alle Türen waren verschlossen. Einige der Frauen, die das Haus umschwärmten, waren offensichtlich von derselben irrigen Idee besessen wie wir, dass das ganze Haus zu besichtigen wäre, und drei von ihnen, drei fette Weibsbilder in großgeblümten Kleidern, hatten einen Wächter oder irgendeinen Angestellten des Hauses in eine Ecke gedrängt und forderten Einlass.
– Ich habe alle seine Platten, sagte eine, – und viele von ihnen mit Autogramm. Eine andere hatte ihre ganze Wohnung mit Bildern von Elvis Presley tapeziert, da gab es nur Bilder von ihm und niemand anderem! – Not even her husband! bestätigte die dritte. Und dann sollte ihnen die Besichtigung des Hauses nicht erlaubt sein! Sollte dies nicht ein Museum sein, offen für alle?
– Doch, sagte der Aufseher, – das würde sicher kommen, irgendwann in der Zukunft; aber bis dahin könnte es möglicherweise noch lange dauern. Auch ich selbst darf nicht weiter hinein als bis in den Vorraum.
Da unterbrach ihn Manni, ungeduldig und mit verzerrtem Gesicht: – Aber guter Aufseher, wir sind den ganzen Weg von Island gekommen, um dieses Haus zu besichtigen! Wir sind zu Forschungszwecken unterwegs, und unsere Reise hat Tausende von Dollars gekostet, den ganzen Weg von Island …!
Die Frauen waren erbost über diese Störung und sahen Manni missbilligend an. – From Iceland?, sagten sie dann.
– Hah, that’s nothing! We came all the way from Wyoming!
Wir gingen in eines der Elvis-Presley-Restaurants, eine Kneipe in einem neueren Haus neben einem Supermarkt. Drinnen war alles aus Kiefernholz: die Tische, die Stühle, die Wände, die Weinkarte. Wir bestellten uns ein paar Bier und ließen die
müden Beine ruhen. Elvis an den Wänden. Elvis in der Jukebox. Wir spielten All shook up und diese alten Lieder, die gegenüber Countrysongs und Hawaiischlagern allerdings in der Minderzahl waren. Und auf einmal sah man durch das Schaufenster, an dem wir saßen, dass es Abend geworden war; die Nacht fiel herein, und als wir unsere Gläser geleert hatten und hinausgekommen waren, war es schon beinahe ganz dunkel geworden. Wir schlenderten die Straße hinunter, den Boulevard, und stießen geradewegs auf ein Bushaltestellenschild, an dem ein
Weitere Kostenlose Bücher