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Das Gelobte Land

Das Gelobte Land

Titel: Das Gelobte Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einar Kárason
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    – Spielt keine Rolle, sagte er, – du hast eine bestimmte Verbindung zu dem Material, auf dem das Projekt aufbaut.
    Ich hatte vor, ihn einige Abende später zu besuchen und mir die Kapitel anzusehen. Es war damit zu rechnen, dass er eine Chronik über das Leben auf dem Bauernhof dort im Osten verfasst hatte, wie der zurückgebliebene Arbeiter die alte Frau rammelte, während der stockbesoffene Bauer sich im Viehstall dem animal sex hingab. Ich war nicht sehr gespannt, erlebte aber eine vollkommene Überraschung. Manni sagte, er habe
begonnen, ein Buch über meine Urgroßmutter, die Wahrsagerin, und den Onkel Baddi zu schreiben.
    Dass das noch keinem eingefallen sein sollte!
    Zuerst wusste ich gar nicht, was ich davon halten sollte. Ich stellte mir vor, dass meine Familie nun in einem literarischen Werk berühmt und unsterblich gemacht werden würde, vielleicht würde ich sogar selbst darin vorkommen.
    Doch dann wurde mir wieder klar, dass das ja nur der Manni war, der erstens ein ziemlich unbeschriebenes Blatt in der Schreibkunst war, und außerdem würde er sich sicher ganz auf das Lotterleben und den moralischen Verfall der Familie konzentrieren. Ich setzte ein misstrauisches Gesicht auf.
    – Hast du über irgendwelche Arschfickereien aus dem Alten Haus gedichtet?
    Manni war verletzt. Was hatten solche Äußerungen nun zu bedeuten? Wollte mir nichts mehr zeigen, begann zu gähnen und in einer alten Zeitung zu blättern, hörte mich nicht mehr. Aber es gelang mir, ihn wieder aus der Reserve zu locken. Es sei doch nur als Witz gedacht gewesen, und am Ende hatte er einige maschinenbeschriebene Blätter in den Pfoten und machte sich bereit, mir vorzulesen.
    Was ich unter anderem tue, ist, dem traditionellen skandinavischen Erzählrealismus eins in die Fresse zu hauen, sagte Manni. Ich bewege mich vor und zurück in der Zeit und so, und das erste, was ich hier habe, handelt vom Tod der alten Wahrsagerin.
    Das war ungefähr ein Jahr, nachdem Uroma gestorben war.
    – Aber du warst doch gar nicht da, als sie starb?, sagte ich. –Erfindest du das dann einfach?
    – Natürlich!, sagte Manni ungeduldig, das ist meine dichterische Vision vom Ende der Zauberin! Ich meine, selbst wenn
ich mir nicht ganz sicher bin mit der Nummer des Krankenhauszimmers, in dem sie ihren Geist aufgab!
    – Ja, nein, das verstehe ich gut, sagte ich, ängstlich besorgt, ihn nicht wieder zu verärgern.
    – Außerdem lege ich dir das vor, damit du mir mit solchen praktischen Kleinigkeiten helfen kannst, die vielleicht keine große Rolle spielen, aber von denen es nichts schadet, sie richtig zu haben.
    – Jaja, ganz selbstverständlich …
    Dann begann er die Lesung. Er hatte einen etwas absonderlichen Lesestil, las mit hoher Stimme und einförmigen Betonungen, die in gewissen Abständen stufenweise lauter und leiser wurden, als ob die einzelnen Satzteile unterschiedlich wichtig wären. Und während er las, durchschnitt er die Luft vor sich mit der rechten Hand wie ein Karatekämpfer, der Mauersteine mit der Handkante zerschlägt:
    Erstes Kapitel, das vom Ende der Wahrsagerin erzählt, einem schnellen Rat wissender Nachbarn, und einer sich sehr an ihrem Stuhl festhaltenden Zauberin.
     
    Die Wahrsagerin glaubte zu hören, wie das Küchenfenster zersplitterte und der Knall eines Schusses durch die Wohnung widerhallte, dann dröhnte eine Maschinengewehrsalve durch die Tür. Es gelang ihr, sich zu bücken und dem schlimmsten Kugelhagel auszuweichen und aus dem Haus zu entkommen. Auf dem Parkplatz stand der Chrysler des Nachbarn, der ein Taxifahrer war, es gelang ihr, sich in das Auto zu werfen, und sie hatte vor, dem bewaffneten Überfallkommando mit Wahnsinnstempo davonzufahren.
    Aber selbstverständlich war dort gar kein Überfallkommando unterwegs, genauso wenig wie sonst auch im kalten,
grauen Reykjavík, es waren nur die Krankheiten des Alters, die dort wie ein Hinrichtungskommando in die Küche der alten Wahrsagerin kamen, wo sie beim Ausbacken von Hefegebäck stand und alte Sprüche und Zauberformeln vor sich hinmurmelte, um die bösen Geister fernzuhalten, die versuchten, Macht über sie zu gewinnen. Die Organe, die fast ein ganzes Jahrhundert gewissenhaft und makellos gearbeitet hatten, liefen einfach alle im gleichen Augenblick heiß, sie wurde auf den Geschirrständer geschleudert, der zu Boden flog.
    Der Nachbar, der den Chrysler besaß, stand bei sich am Fenster, er machte gerade eine kleine Pause, um etwas Hefegebäck zu

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