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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
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werden – er stelle sich da todesbleiche Elendsgestalten vor. Wie würde solch ein Aufmarsch auf Schauspieler und Komparsen wirken?
    Der Staatsekretär konnte dem Einwand ein gewisses Verständnis entgegenbringen: Eventuell ließe sich auch ein Arbeitstrupp abziehen, der Außenarbeiten ausführe. Etwa bei einem kilometerlangen Graben für eine erweiterte Hauptstromversorgung – sogenannte Kabelzieher oder, wie es bei französischen Fremdarbeitern heiße: »Kabelsir«.

    Zusatz, Stichwort Ostwall. Ein Kollege der Abteilung Briefüberwachung konnte hier präzisieren, hausintern.
    Demnach wird auf Geheiß des notorisch fanatischen Gauleiters Koch seit Juli diese Verteidigungsstellung (»Erich-Koch-Wall«) angelegt mit Panzergräben, Panzerfallen, versteckten Einmannbunkern, sogenannten »Koch«-Töpfen. Jung und Alt, das Gebot der Stunde erkennend, als Fronthelfer im Schanzeinsatz. Allerdings erfolgen die Arbeiten im Widerspruch zu kritischen bis ablehnenden Beurteilungen durch militärische Führungskräfte.
    Hinzukommt mangelhafte Organisation: Elende Massenunterkünfte, unzureichende Ernährung, vielfach fehlen Spaten; es soll bereits vorkommen, dass Helme (vorzugsweise der Feuerwehr) zum Ausheben von Erdreich zum Einsatz gelangen.
    In weitem Umkreis wird alles, was eine Schippe tragen kann, zu den Schanzarbeiten herangezogen, dies zu Zehntausenden, und das ausgerechnet zur gegenwärtigen Erntezeit, mit der Folge, dass auf den Höfen nur noch weilt, wer absolut nicht mehr arbeitsfähig ist. Da das Einbringen der Ernte jedoch kriegswichtig ist, werden Soldaten zu Tausenden von der Ostfront abgezogen, selbst dort, wo die HKL nur noch derart dünn besetzt ist, dass man von »Postenschleiern« spricht. Auch diese oft nur hauchdünnen Schleier werden ausgedünnt, kriegen Risse, denn: siehe oben. W.

    Mit heutiger Kurierpost: Wiedergabe eines Telefongesprächs zwischen Reichsfilmintendant Hinkel im RMVP und Produktionsleiter Sperber, derzeit Groß-Glienicke.
    Hinkel: Aus zuverlässiger Quelle haben wir in Erfahrung gebracht, dass an
Kolberg
nicht mehr mit der zu erwartenden Intensität gearbeitet wird. Dienst nach Vorschrift? Arbeitsniederlegung? Was läuft denn da bei euch? Beziehungsweise: läuft nicht mehr?
    Es wird durchgehend weitergearbeitet, doch unter veränderten Rahmenbedingungen. Proben vor laufenden Kameras, aber mit leeren Filmkassetten. Rohfilm, vor allem für Farbe, geht zur Neige. Und wir sehen zurzeit keine Möglichkeit für Nachbestellungen.
    Hinkel: Könnte das Arbeiten mit leeren Filmkassetten nicht auch andere Gründe haben? Etwa in der Richtung, wie das gerade von gewissem Filmgesocks in den Prager Studios praktiziert wird?
    Filmgesocks – der Ausdruck dürfte entschieden zu hart sein!
    Es handelt sich um ein hochrangiges Zitat, das sich leicht ergänzen ließe. Wie wärs mit »Kroppzeug von Filmleuten«? Also heraus mit der Sprache, Herr Produktionsleiter! Wird auch bei euch nach der Prager Methode gearbeitet: Dreharbeiten simulieren, um nur ja nicht an die Front zu müssen?
    Wir stehen unter den Nachwirkungen der jüngsten Bombenwürfe auf das Filmgelände. Hilfskräfte müssen Bombentrichter zuschütten – einige Transportwege im Terrain sind kaum noch befahrbar. Und: vom Explosionsdruck wurden einige der Ruinenfassaden umgeworfen, die für den Markt von Kolberg stehen. Auch müssten (erst kürzlich wieder angefordert) weitere Splitterschutzgräben angelegt werden – die Zahl der zurzeit beschäftigten Statisten ist hoch. Wir sind verpflichtet zur luftschutzmäßigen Unterbringung der gesamten Massenkomparserie bei Fliegeralarm.
    Na schön, klar, alles bekannt. Aber irgendwas hakt doch bei euch da draußen.
    Ich muss zugeben, wir haben das Heft des Geschehens nicht mehr so recht in der Hand. Wenn wir – trotz Holzmangel, Farbenmangel, Kleistermangel – die Kolberger Ruinenfassaden mühsam aufgebaut haben, und das wird mit einer einzigen Bombe zum Einsturz gebracht – was glauben Sie, wie viele Telefonate und Fahrten daraufhin notwendig werden! Wir arbeiten derzeit eher hinter den Kulissen als vor den Kulissen. Vieles, allzu vieles muss erledigt, und vor allem: muss abgewartet werden. Wir stolpern dahin zwischen nachgebauten Ruinen und echten Bombentrichtern. Wie soll man da effizient und termingerecht arbeiten können? Wir bitten um Nachsicht, aber es hakt allenthalben und allerorten. Es gibt nicht mal genügend Drehbücher, wegen der Papierkontingentierung. Also muss abgeschrieben, muss

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