Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
Vom Netzwerk:
vom Mitwanderer: M. H. de Marneffe sei Opfer eines Erpressungsversuchs der speziellen Art. Nun konnte er dem finanziellen Druck nachgeben, konnte mit dem in Aussicht gestellten Geld seine angeschmutzte Fassade reinigen.
    Unsere Geschäftsbeziehung spielte sich ein. Auch für Göring war M. H. de Marneffe eine anerkannte Autorität, erst recht für seine Kunstexperten Hofer und Kayser, die ebenfalls bereitwillig für den Gutachter bürgten. Wobei ebenfalls Gründe außerhalb des rein Künstlerischen mitspielten – ein Punkt, den ich später zur Sprache bringen muss.
    Ich komme zum zweiten meiner großen Valuta-Gemälde, die ich Marneffe zur Beurteilung und Begutachtung vorlegte. Ich malte das bisher unbekannte, bis dato nicht existierende, in der Überlieferung jedoch bezeugte Vanitas-Gemälde des Carel Fabritius (»een schilderij van een vanitas, van fabricius«). Ich konnte dazu eine Leinwand etwa aus seiner Zeit benutzen – an den Rändern die Löcher der Spannschnüre, mit der üblichen Knicklinie der Anpassung an den Holzrahmen. Die Ablösung der stark beschädigten Malschicht war zeitraubend, gelang aber ohne größere Probleme. Auftragen der Grundierung. Der Trocknungsprozess. Und ich begann zu malen. Die fast völlig abgelaufene Sanduhr … die abgebrannte, noch leicht rauchende Kerze … der umgekippte Silberpokal … der Pastetenrest, von einer Fliege bekrabbelt … dominant der Totenschädel … der abgelöste Unterkiefer, abgelegt auf einem zerfledderten Folianten …
    Die üblichen Requisiten der Vergänglichkeits-Ikonographie also. Auf den meisten Vanitas-Gemälden des 17 . Jahrhunderts sind sie recht schematisch arrangiert. Von solcher Reproduktions-Routine wollte ich mich absetzen, nur wusste ich lange Zeit nicht, wie, bis blitzartig der Einfall kam: Ich übermalte das rechte Viertel mit einem Vorhang, aufgehängt an einer Stange parallel zur Oberkante des Bildes. Täuschend ähnlich wiedergegebener Satin, mit adäquaten Schimmereffekten. Wobei ich an zwei Stellen Vergänglichkeit auch in der Malweise sichtbar machte: Ich nutzte meine Erkenntnis, dass bei Fabritius die Farbe ein Minimum an Bindemittel enthielt, wodurch sich eine leicht körnige Struktur ergab; die trockene, pastose Farbe deckt häufig nicht vollständig ab, und so scheint an manchen Stellen die darunter liegende Farbschicht durch. Ein Angebot für Kenner, für Experten …
    Selbst diese Finesse genügte mir noch nicht, mir fehlte noch, umgangssprachlich, das i-Tüpfelchen. Und hier das Resultat einer, ja, Inspiration: Eine sorgsam gemalte Beschädigung (»Dreieck«) im kostbaren Gewebe. Absolutes Novum bei Vanitas-Gemälden! Sowas hatte vor mir noch keiner gewagt. Genialer Einfall, der eines Carel würdig (gewesen) wäre.
    Leuchtende, zugleich einleuchtende Details! Aber auch sie, selbstverständlich, ein wenig gedämpft: das übliche Eindunkeln alter Gemälde verifizierend, malte ich mit einer kleinen Beimischung von Umbra natur. Wickelte zuletzt die Leinwand um Alberts Walze, erhitzte sie: authentische Craquelurbildung.
    Auch hier war die Erarbeitung, die Erstellung der Provenienz-Nachweise wichtig: Vorarbeit zum Gutachten. Ich darf auf einige entscheidende Punkte hinweisen. Aussagekräftig sind vor allem Schätzungslisten und Nachlassverzeichnisse. Im Nachlass des Weinhändlers Pieter Cornelish Moll, 1658 in Delft verstorben, fand ich, und zwar im Gemeentearchief Delft, folgenden Hinweis: »In de beneden camer een schilderij van een stil leven, van fabricius.« Dieser Hinweis auch, zuvor, im Notarieel Archief G. Rota, hier genauer spezifiziert als »een vanitas«. Ich ließ das Gemälde sodann in meiner Bildbegleitgeschichte zwei Jahrhunderte in England verweilen, wo Nachforschungen durch eine deutsche Behörde kaum möglich sein konnten in Anbetracht der angespannten politischen Lage bereits vor der Kriegserklärung: Sammlung Earl of Dudley; Versteigerung; das Gemälde erworben vom Kunsthandel Colnaghi, damit aufs Festland zurückgekehrt …
    Nicht nur unter dem Eindruck der fast erdrückenden Provenienz-Nachweise, auch aus ehrlicher Überzeugung erstellte Marneffe ein geradezu hymnisches Gutachten. Und mir gelang ein Coup, der sich ohne Übertreibung als grandios bezeichnen lässt.
    Zuvor, noch einmal: Da war nicht nur die Verlockung, sondern fast schon die Verpflichtung, in Carels Sinne das zu früh abgebrochene, weithin zerstörte Lebenswerk zu komplettieren. Während Fabritius den Küster Simon Decker porträtierte, am

Weitere Kostenlose Bücher