Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
sie zu assistieren hätte, sie konnte es sich gut vorstellen. Und als der Augenblick gekommen war, nahm sie an der Seite Kilaras wieder ihren Platz ein, wie so oft in der Vergangenheit, schob die Mikrosonden ein, die den Eingriff steuerten, und legte das organische, transgenetische Gewebe, mit denen die Wunden geschlossen wurden, an Ort und Stelle.
Jetzt hatte sie auch keine Entschuldigungen mehr, mit denen sie sich davor drücken konnte, in die Akademie zu gehen, nachdem Oda sie immer nachdrücklicher dazu drängte.
Die Akademie des Inneren Friedens befand sich auf einem Geländestreifen zwischen zwei Kanälen, sodass man das Gefühl hatte, auf einer Insel zu sein. Das Gebäude war aus Stein; der Holzboden besaß eine cormaroublaue Farbe, und die großen, flügellosen Türen ermöglichten es, dass Zuschauer von draußen bei den Übungen zuschauen konnten.
Als Suvaïdar in der Akademie ankam, war das Training der Fortgeschrittenen mit zwei Klingen gerade in vollem Gange. Sie blieb stehen, um sich einen Stoß anzusehen, der mit dem biegsamen, feinen Schwert in der rechten Hand und dem Messer in der linken ausgeführt wurde – Kampfwaffen, die beide Gegner perfekt beherrschten. Die Klingen waren so scharf wie die Sensen der Erntehelfer, doch die Kämpfer tippten die Haut des Gegners nur leicht an, sodass kein Tropfen Blut floss.
Es sind noch sechs Monate bis zum nächsten Duell, ging es Suvaïdar durch den Kopf, aber nicht in hundert Jahren erreiche ich dieses Niveau.
Sie wartete die Pause ab, um sich dann bei dem gradierten Schüler vorzustellen, der das Training leitete – ein Shiro, der kaum sprach. Ein Hieb mit dem Säbel hatte seine Oberlippe gespalten, und die Wunde hatte sich trotz des Versuchs, sie zusammenzunähen – ein paar Nähte waren noch sichtbar – nicht geschlossen. Er musste sich seinem Meister gegenüber sehr respektlos benommen haben, wenn der sich entschlossen hatte, ihn quasi für die Ewigkeit an die Strafe zu erinnern, die er in seinen Augen verdient hatte.
Suvaïdar bat ihn um die Erlaubnis, am Anfängerkurs teilnehmen zu dürfen. Es war eine eher förmliche Bitte, da Tarr ihre Teilnahme an diesem Kurs bereits genehmigt hatte. Der Mann stimmte zu und zeigte ihr den Weg zu den Umkleidekabinen, indem er mit der Reitpeitsche, die er in den Händen hielt, in die Richtung wies.
Suvaïdar teilte sich die Kabine mit einer Gruppe Heranwachsender, die noch lange Haare trugen, sowie mit einer erwachsenen Frau, die bereits ihre Gesichtsmaske zugebunden hatte und nun dabei war, die Schutzschärpe auf der Brust zu befestigen. Die Frau war Kilara, da gab es keinen Zweifel. Auf den Schultern und auf dem Torso trug sie, wie alle anderen Schüler auch, zahlreiche Hämatome und rote Striemen.
Suvaïdar musste vor Unruhe schlucken. Sie hatte davon gehört, dass man in der Akademie des Inneren Friedens die Angewohnheit hatte, die Stöße überaus kraftvoll zu setzen, wobei man so kontrolliert wie nötig vorging, um dauerhafte Verletzungen möglichst zu vermeiden. Den Beweis hatte sie vor sich.
»Handkampf«, verkündete der Ausbilder.
Der erste Partner Suvaïdars war ein jugendlicher Shiro, der genauso groß war wie sie. Nach wenigen Sekunden lag sie mit dem Gesicht am Boden. Der junge Bursche drückte ihr sein Knie in den Nacken und drehte ihren Arm so weit nach hinten, dass nicht viel gefehlt hätte, und er hätte ihn ausgerenkt. Suvaïdar schlug mit der freien Hand auf den Boden – das Zeichen der Aufgabe.
Insgesamt machten beide zwölf Angriffe, wobei sie jedes zweite Mal den Partner wechselten. Jedes Mal wurde Suvaïdar vom Gegner bereits mit dem ersten Griff unbeweglich gemacht, oder sie wurde durch einen wuchtigen, präzisen Schlag in den Solarplexus außer Gefecht gesetzt. Während in der Akademie von Doran Huang die Stöße zurückgehalten wurden, führte man sie hier mit exakt so viel Kraft, dass die Atmungsmuskulatur für kurze Zeit praktisch gelähmt war, sodass Suvaïdar die Shu-Techniken einsetzen musste, wollte sie überhaupt Luft bekommen. Anschließend machten sie mit den Übungswaffen weiter. Diese waren aus Holz, nicht aus Binsen.
Nach dem Ende der Trainingsstunde, als sie unter der Dusche stand, sah Suvaïdar, dass sie Kilara in nichts nachstand, was blaue Flecken und Hautabschürfungen betraf. Doch sie hatte ihr Wort gegeben; deshalb ging sie weiterhin zum Unterricht, obwohl sie das Training immer mehr verabscheute. Wegen seiner Probleme, sich auszudrücken, hatte der
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