Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
identifizierte.
»Die andere Frau Medikament ist gegangen«, sagte sie. »Jetzt ist ein Mann Medikament zu euch gekommen.«
»Der Pakt sagt Frau Medikament im Haus des Flusses. Kein Mann. Frau, eingeladen von den Monden. Mann, nein.«
»Dieses Jahr haben die Monde einen Mann eingeladen.«
»Der Pakt«, murmelte der Alte, wobei er die Brauen unter seiner niedrigen Stirn runzelte. »Der Wald gehört uns.«
»Der Pakt ist so fest wie der Fels, niemand kann ihn brechen. Der Wald gehört euch. Der Mann Medikament wird dort nicht hineingehen. Er wird im Haus des Flusses bleiben, und wenn ihr ihn braucht, könnt ihr dorthin kommen, um euch behandeln zu lassen. Es wird genauso sein wie vor vielen Trockenzeiten, als ich hier war, die Frau Medikament. Es wird so sein, wie es in der Vergangenheit war, in der Zeit des Vaters deines Vaters.«
Die Chance, dass irgendjemand sich an Suvaïdar erinnerte, war gering. Wer im Wald das Erwachsenenalter erreichte – und das waren nicht sehr viele –, dessen Geist war durch die halluzinogenen Sporen und Kumarine ständig vernebelt. Wahrscheinlich gingen in den Köpfen der Wilden Wirklichkeit und Vorstellung ineinander über.
Plötzlich machte einer der Erwachsenen einen Sprung nach vorn und versuchte, unter seinen schmutzigen Haarsträhnen hindurch, die seine Augen verdeckten, Suvaïdar mit seinem Blick zu durchdringen. Er humpelte, und seine Beine und Schenkel trugen scheußliche Narben.
Im linken Schenkel fehlte ein Stück Muskel. Suvaïdar schaute aufmerksamer hin. Die Wunde kam ihr bekannt vor. War das möglich? Ihr Patient war vor ungefähr zehn Trockenzeiten noch ein Kind gewesen, und der Mann vor ihr schien nicht viel jünger zu sein als sie.
Die Asix altern viel schneller als wir, ging es ihr durch den Kopf, aber diese Unglücklichen altern offenbar noch schneller als die Asix, vielleicht sogar schneller als die Außenweltler.
Der Mann wies auf seinen Schenkel und fragte zögernd:
»Du?«
»Ja, das war ich. Der Biss eines Alligators, du bist ins Wasser gefallen. Ich erinnere mich.«
Es folgte eine Diskussion zwischen dem Alten und dem Mann, der mit Suvaïdar gesprochen hatte. Der Schreie und des Grunzens wegen war allerdings kaum etwas zu verstehen, und rasch eskalierte das Ganze zum Streit. Der Alte schlug dem Jüngeren den Griff seiner rudimentären Lanze ins Gesicht; ein weiterer Mann mischte sich ein und erhielt seinerseits einen heftigen Schlag in die Leiste.
Plötzlich machten die Wilden ohne ersichtlichen Grund kehrt und verschwanden in der Vegetation. Weder eine Bewegung noch ein Geräusch verriet ihre Anwesenheit.
»Wer sind sie? Das können doch nicht die Asix vom Typ fünf sein?« Saïda blickte überrascht in die Richtung, wo die abstoßenden Karikaturen der Asix verschwunden waren. »Auch die Asix vom Typ vier hatte man im Wald ausgesetzt, oder?«
»Wenn es nach den Experten deines Clans geht«, antwortete Suvaïdar, während sie aufstand und zum Fußpfad ging, »sind die meisten Asix vom Typ vier vor langer Zeit ausgestorben, und die wenigen Überlebenden, wenn es sie überhaupt gegeben haben sollte, müssen von einem Stamm gefangen genommen worden sein. Seine Mitglieder werden die Weibchen im fruchtbaren Alter übernommen haben. Die anderen wurden vermutlich niedergemetzelt und gefressen. Das hier sind bestimmt die Asix vom Typ fünf, die sich ohne jede Kontrolle jahrhundertelang reproduziert haben. Sie leben in kleinen Gruppen und praktizieren systematisch die Endogamie. Wenn der alte Mann sich ›Vater des Stammes‹ nennt, meint er das im wahrsten Sinne des Wortes. Ich glaube, im Gespräch mit ihnen verstanden zu haben, dass ein Männchen, das alle anderen im Kampf besiegt hat, sämtliche Frauen besitzt und auch befruchtet, sogar seine Töchter und Schwestern.« Sie hielt kurz inne und fuhr dann fort:
»Ich weiß nicht, ob sie das Resultat einer fürchterlichen genetischen Degeneration sind oder ob sie sich deshalb so verhalten, weil sie durch die Drogen stumpfsinnig wurden. Ich hatte eines Tages die Gelegenheit, bei einer Totgeburt Analysen zu machen und habe dabei entdeckt, dass sich im Blut eine derart hohe Konzentration an Kumarinen und Sfarix befand, dass sie einen erwachsenen Shiro oder Asix das Leben gekostet hätte. Vielleicht könnte es uns gelingen, sie zu entgiften. Aber selbst wenn sie eine Entgiftung über sich ergehen lassen, würden sie weiterleben wiedie Jahrhunderte zuvor, seit Dutzenden von Generationen. Ein widerliches
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