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Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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peinlich; diese Leute taten ihm furchtbar leid. Er schaute Imogen an – er wollte, daß sie es wußte, auch wenn es ihr nichts bedeutete.
    Sie stand reglos da. Ihre Augen waren so dunkel, daß es unmöglich war, sie zu ergründen, aber sie schienen nichts von dem befürchteten Abscheu zu enthalten. Einen Moment lang hatte er das Gefühl, ihr die Unumgänglichkeit seiner Fragen, den schrecklichen Zwang, der ihn dazu trieb, begreiflich machen zu können – wäre er nur ein paar Minuten mit ihr allein.
    »Meine Freunde können beschwören, daß ich den ganzen Abend bei ihnen war.« Unsanft zerschnitt Charles’ Stimme das zarte Band zwischen ihnen. »Ich werde Ihnen ihre Namen geben, auch wenn das absolut lächerlich ist! Ich hatte nichts gegen Joscelin; wir befanden uns in derselben unglücklichen Lage. Es gab nicht den geringsten Grund, ihm etwas Böses zu wünschen, und sogar Sie werden keinen finden!«
    »Würden Sie mir die Namen bitte nennen, Mr. Latterly?« Charles’ Kopf fuhr ruckartig hoch.
    »Um Gottes willen – Sie werden sie keinesfalls dazu zwingen, Rechenschaft über mich abzulegen! Ich gebe Ihnen die Namen nur, wenn –«
    »Ich werde diskret vorgehen, Sir.«
    Charles schnaubte verächtlich; die Vorstellung eines zartfühlenden Polizeibeamten war grotesk.
    Monk sah ihn gelassen an.
    »Es wäre wesentlich einfacher, Sie geben mir die Namen selbst, Sir. Ansonsten muß ich sie mir auf andere Weise beschaffen.«
    »Der Teufel soll Sie holen!« Die Adern auf Charles’ Stirn drohten jeden Moment zu platzen.
    »Die Namen, Sir.«
    Charles begab sich zu einem der kleinen Beistelltischchen, öffnete das Schubfach und zog ein Blatt Papier sowie einen Stift heraus. Er brauchte eine Weile, bis er die Adressen notiert hatte, faltete das Blatt dann zusammen und reichte es Monk.
    Monk steckte es ungelesen ein.
    »Ich danke Ihnen, Sir.«
    »War das endlich alles?«
    »Nein. Ich würde Ihnen gern noch einige Fragen über Major Greys Freunde stellen. Es könnte durchaus sein, daß er etwas über einen von ihnen in Erfahrung gebracht hat, das der Betreffende unbedingt geheimhalten wollte.«
    »Und was, bitte, schwebt Ihnen da vor?« Charles betrachtete ihn mit extremer Abneigung.
    Monk verspürte keinerlei Drang, die Dinge auszusprechen, die er sich in seiner Phantasie ausgemalt hatte, besonders nicht in Imogens Anwesenheit.
    »Nichts Konkretes, Sir, und ohne handfeste Beweise wäre es vermessen, diesbezüglich Spekulationen anzustellen.«
    »Vermessen«, wiederholte Charles höhnisch. »Soll das etwa heißen, so etwas spielt für Sie eine Rolle? Es wundert mich, daß Sie das Wort kennen!«
    Imogen wandte sich verlegen ab, während Hesters Gesicht erstarrte. Sie öffnete den Mund, als hätte sie die Absicht, etwas zu sagen, hielt es dann aber für klüger zu schweigen.
    Auch Charles schien sich in der darauffolgenden Stille nicht wohl zu fühlen, war jedoch unfähig, sich zu entschuldigen.
    »Er erwähnte eine Familie namens Dawlish«, sagte er gereizt.
    »Außerdem verbrachte er meines Wissens ein oder zweimal längere Zeit bei Gerry Fortescue.«
    Monk notierte alles, was sie ihm über die Dawlishs, die Fortescues und ein paar andere Leute zu berichten wußten, obwohl es ihm sinnlos erschien und er sich Charles’ Skepsis deutlich bewußt war; der Mann behandelte ihn wie einen frei herumlaufenden Irren, den man tunlichst nicht reizte. Im Grunde blieb er nur, um nicht vollkommen unglaubwürdig zu wirken, denn schließlich hatte er seinen Besuch damit erklärt, weitere Nachforschungen über Grey anstellen zu müssen.
    Als er ging, meinte er in seinem Rücken schwere Seufzer der Erleichterung zu vernehmen. Er stellte sich vor, wie sie sich heimliche Blicke zuwarfen und sich in stillschweigendem Einverständnis freuten, den lästigen Eindringling endlich losgeworden zu sein und eine extrem unangenehme Begegnung hinter sich gebracht zu haben. Während des ganzen Wegs zum Revier waren seine Gedanken in dem behaglichen Salon – und bei Imogen. Er versuchte sich auszumalen, was sie tat, was sie von ihm dachte, ob sie auch den Mann in ihm sah oder nur den Inhaber eines Amts, vor dem sie plötzlich zurückschreckte.
    Warum hatte sie ihn so eindringlich angesehen? Mehr als einmal hatte er das Gefühl gehabt, Raum und Zeit würden stillstehen, als er diesem Blick begegnet war – nur weil er den Moment um jeden Preis festhalten wollte? Womit hatte sie ihn ursprünglich beauftragt? Welche Worte waren zwischen ihnen

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