Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
ungerührt, ohne Scarsdale eine Sekunde aus den Augen zu lassen.
    Dieser begriff die Anspielung sofort und erbleichte; er mochte arrogant und vielleicht bigott sein, aber dumm war er nicht.
    Monk packte das, was er für seine wahrscheinlich einzige Chance hielt, unverzüglich beim Schöpf.
    »Sie als Mann von Stand haben den gleichen gesellschaftlichen Rang wie Major Grey« – er wand sich innerlich angesichts seiner Heuchelei – »und sind sein direkter Nachbar. Sie müssen doch in der Lage sein, mir etwas über ihn zu erzählen. Ich weiß nicht das geringste.«
    Scarsdale war überglücklich, das Thema wechseln zu dürfen, und fühlte sich trotz allen Ärgers geschmeichelt.
    »Selbstverständlich kann ich das«, lenkte er hastig ein. »Sie wissen gar nichts?«
    »Gar nichts«, bestätigte Monk.
    »Er war der jüngere Bruder von Lord Shelburne, müssen Sie wissen.« Scarsdales Augen weiteten sich. Er verließ endlich seinen Standort, schlenderte in die Mitte des Raumes und ließ sich auf einem mit Schnitzereien verzierten Stuhl mit harter Rückenlehne nieder. Anschließend wedelte er unbestimmt mit dem Arm, anscheinend als Aufforderung an Monk, es ihm gleichzutun.
    »Was Sie nicht sagen!« Monk entschied sich für einen zweiten Stuhl mit harter Rückenlehne, um auf gleicher Höhe mit Scarsdale zu sitzen.
    »O ja, eine sehr alte Familie«, fuhr Scarsdale genüßlich fort.
    »Seine Mutter, die Witwe Lady Shelburne, war die älteste Tochter des Duke of Ruthven, zumindest glaube ich, daß er so hieß; jedenfalls ein Duke von irgendwas.«
    »Joscelin Grey«, ermahnte Monk ihn.
    »Ach ja. Ein sehr angenehmer Bursche. War Offizier an der Krim, welches Regiment, habe ich vergessen, aber seine Beurteilung war ausgezeichnet.« Er nickte energisch mit dem Kopf. »Wurde bei Sewastopol verwundet, wenn ich mich recht entsinne, und daraufhin aus der Armee entlassen. Mußte am Stock gehen, der arme Teufel, aber Sie müssen nicht denken, daß ihn das entstellt hätte. War ein sehr gutaussehender Bursche, überaus charmant und überall beliebt.«
    »Die Familie ist wohlhabend?«
    »Die Shelburnes?« Monks Ignoranz schien Scarsdale zu belustigen; seine Selbstsicherheit kehrte zurück. »Ich bitte Sie! Das müßte Ihnen aber bekannt sein – na ja, vielleicht wissen Sie’s tatsächlich nicht.« Er sah Monk geringschätzig von oben bis unten an. »Das Geld fiel allerdings dem ältesten Sohn zu, dem gegenwärtigen Lord Shelburne. So ist das eben: der Älteste bekommt zusammen mit dem Titel auch alles andere. Dadurch wird der Besitz zusammengehalten, sonst würde er ja völlig auseinandergerissen, wenn Sie verstehen. Alle Macht des Landes zum Teufel!«
    Obwohl Monk sich ziemlich gönnerhaft behandelt fühlte, hielt er sich zurück; er kannte die Rechte eines Erstgeborenen.
    »Ja, ich verstehe. Danke. Und woher stammt Joscelin Greys Geld?«
    Scarsdale wedelte mit den Händen; sie waren klein, die Knöchel breit und platt, die Nägel unglaublich kurz geschnitten.
    »Oh, aus irgendwelchen Geschäften, nehme ich an. Ich glaube nicht, daß er besonders reich war, aber man hatte nie den Eindruck, daß es ihm an irgend etwas fehlte. War immer gut angezogen. Aus der Kleidung kann man eine Menge schließen, wissen Sie.« Er schürzte die Lippen und bedachte Monk mit einem weiteren abschätzenden Blick, wobei er die ausgezeichnete Qualität von dessen Jackett und Hemd registrierte und ein leicht verwirrtes Gesicht machte, da er sein Vorurteil offensichtlich neu überdenken mußte.
    »Und er war Ihres Wissens weder verlobt noch verheiratet?« Monk schaffte es, sich seine Genugtuung nicht anmerken zu lassen.
    Soviel Unkenntnis verwunderte Scarsdale nun doch.
    »Nicht mal das wissen Sie?«
    »Wir wissen, daß es keine offiziellen Pläne in dieser Richtung gab«, erwiderte Monk hastig, um seinen Fehler zu überspielen.
    »Aber Sie in Ihrer Position sind vielleicht über eventuelle andere Bindungen informiert – gab es vielleicht jemand, für den er… Interesse zeigte?«
    Scarsdale zog die Winkel seines recht üppigen Mundes nach unten.
    »Falls Sie damit gelegentliche Verabredungen meinen: nicht daß ich wüßte. Aber ein Mann mit guter Kinderstube fragt einen anderen Gentleman nicht nach seinen persönlichen Neigungen – oder wie er sich das Leben angenehmer gestaltet.«
    »Oh, ich meinte keine Liebesdienste gegen Bezahlung«, erwiderte Monk mit leicht spöttischem Unterton. »Ich wollte auf irgendeine Dame hinaus, der er möglicherweise

Weitere Kostenlose Bücher