Das Gesicht des Todes: Authentische Mordfälle (German Edition)
psychiatrischen Gutachter, wissenschaftlich fundiert und für das Gericht nachvollziehbar, die Ursache für die schrecklichen Morde des Manfred Öhler herauszuarbeiten.
Demnach dürfte seine erhebliche psychische Erkrankung etwa vier Jahre vor den von ihm begangenen Verbrechen konkret begonnen haben. Damals kamen bei ihm erstmals die Vergiftungsgedanken hoch. Durch wahnhaft empfundene körperliche Schmerzen vermutete er, sich durch Medikamenteneinnahme eine Nierenvergiftung zugezogen zu haben. Die ständige Fortschreitung seiner Psychose ergab etwa ein Jahr vor der Tat für ihn immer größere Schwierigkeiten, die ausschließlich in seinen Wahnvorstellungen begründet waren. Er fühlte sich von seiner Halbschwester schlecht behandelt, ja sogar terrorisiert, und den Nachbarn unterstellte er, ihn mit Säure- und Giftdämpfen umbringen zu wollen. Mit diesen Halluzinationen begann die Entwicklung, die schließlich in dem schrecklichen Amoklauf endete.
Gestützt wurde die Vorstellungswelt seines Wahnsystems durch Trugwahrnehmungen auf allen fünf Sinnesgebieten. So sah er weiße, imaginäre Pulverwolken, roch Gas, spürte ätzende Salzsäure auf der Haut, schmeckte Verunreinigungen des Wassers sowie der Speisen und hörte Drohungen seiner Nachbarn über Radio. Für Öhler ergaben sich zu keinem Zeitpunkt Zweifel an seinen Wahrnehmungen, so dass sich die Lage für ihn immer mehr zuspitzte. In seinem wahnhaften Überlebenskampf sah er sich an die Wand gedrängt. Er fürchtete, dass man ihn umbringen oder ihm zumindest sein Haus und damit seine Bleibe wegnehmen wolle. So kamen in ihm Verzweiflung und starke Wut hoch. Durch einen Banküberfall wollte er seine finanzielle Misere wieder in den Griff bekommen. Auch wollte er sich einen Wohnwagen kaufen, um den Giftanschlägen der Nachbarn zu entgehen.
Das zielstrebige, leistungsfähige, im äußeren Handlungsablauf geordnet erscheinende Verhalten während der Tat und auch später bei der Rekonstruktion sowie bei den polizeilichen Vernehmungen kommt bei schizophrenen Kranken nicht selten vor. Bewusstseinsklarheit, situative Orientiertheit und gutes Gedächtnis sind bei dieser Krankheit häufig ohne deutlich erkennbare Beeinträchtigung.
Insgesamt bot Öhler das Bild eines durch chronische, abnorme, psychische Erlebnisse erheblich in der Persönlichkeitsstruktur veränderten Menschen, der offenbar schon seit Jahren das Leben eines verschrobenen Sonderlings führte.
Aus nervenärztlicher Sicht gab es keinerlei Zweifel, dass Manfred Öhler an einer geistig-seelischen Erkrankung leidet, die unter der Diagnose einer schweren paranoid-halluzinatorischen, schizophrenen Psychose zu fassen ist. Aus diesem Grund, so der Gutachter, ist der Proband aus medizinischer Sicht als schuldunfähig im Sinne des § 20 StGB einzustufen. Gleichwohl erscheint es fraglos, dass er, statt in ein Gefängnis, in die geschlossene Abteilung einer Psychiatrie einzuweisen ist. Der Proband ist nach wie vor höchst gefährlich und auch auf lange Sicht nicht oder nur zu kleinen Teilen zu therapieren. Auf freiem Fuß belassen, stellt er eine hohe Gefahr für die Allgemeinheit dar.
Das Schwurgericht folgte den umfangreichen Ausführungen des Gutachters. Es stellte in seinem Urteil zwar die Schuldunfähigkeit des Angeklagten fest, veranlasste aber auf unbestimmte Zeit gemäß § 63 StGB die Einweisung in die geschlossene Psychiatrie. Dort befindet sich Manfred Öhler heute noch. Es wird sich wohl auch kein Gutachter finden, der das Risiko eingeht, seine Entlassung zu befürworten, solange dieser Mensch noch körperlich in der Lage ist, anderen zu schaden.
Während ich Manfred Öhlers Geschichte niederschrieb, fand vor dem Schwurgericht Karlsruhe ein Prozess gegen den 24-jährigen Amokläufer Stefan A. statt, der in einem Pforzheimer Versandhaus, in dem er arbeitete, mit einem Samuraischwert eine Frau getötet und drei weitere Frauen lebensgefährlich verletzt hatte.
Im Gegensatz zu Manfred Öhler erhielt dieser Täter eine lebenslange Freiheitsstrafe. Außerdem wurde die besondere Schwere der Schuld erkannt, was zur Folge hat, dass der Täter selbst bei günstiger Prognose keine Chance hat, nach 15 Jahren entlassen zu werden.
Das Gericht stützte sich in seiner Urteilsbegründung zum einen auf das psychiatrische Gutachten des Sachverständigen, der diesen Täter als voll schuldfähig einstufte, und zum anderen auf die von der Polizei ermittelten Abläufe vor und während der Tat. Demnach hatte Stefan A. das
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