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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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Kind«, murmelte sie, und anders als in den letzten Monaten fiel ihr das Reden nicht schwer. »Gott hat es Euch geschenkt.«
    »Und ich schenke ihn eben weiter«, entgegnete Audacer hart, als handelte es sich dabei um ein Pferd oder um einen prächtigen Sattel für eben ein solches. »Was ist daran schlimm?«
    Es wäre nicht schlimm gewesen, hätte er diese Entscheidung zum Wohle des Knaben gefällt. Doch Johanna wusste, dass Audacer das alles nicht tat, weil er seinem Sohn weniger bieten konnte als der Graf, sondern weil er ihm ganz offensichtlich weniger bieten wollte.
    »Wie könnt Ihr ein kleines, unschuldiges Kind derart hassen?«, entfuhr es ihr. Die Wahl ihrer Worte deuchte sie fast zu hart.
    Doch Audacer stritt nichts ab. Er lächelte schief, auf eine ebenso schmerzliche wie bösartige Weise. »Wir können so wenig in unserem Leben selbst bestimmen, warum soll ich nicht das bisschen Freiheit nutzen, das mir noch bleibt? Ich habe mir nicht ausgesucht, dass mein Weib mit fünfzehn Jahren im Kindbett starb. Aber wie ich zu meinem Sohn stehe, das ist und bleibt meine eigene Wahl.«
    Er zuckte die Schultern, wandte sich zu gehen. Der Nähe des Kindes war er wohl schon zuvor überdrüssig gewesen, nun schien er es obendrein leid, sich vor ihr zu rechtfertigen. Johanna starrte ihm nach, erleichtert, dass er ging, dass die Sache ausgestanden war, dass nicht länger eine Bedrohung von ihm ausging.
    Doch kaum hatte sie sein Gesicht nicht mehr vor Augen, nur mehr seinen breiten, aufrechten Rücken, da traf sie wieder dervorherige Schmerz, der von Hilflosigkeit zeugte und von einer Verzweiflung, die nichts mit diesem Kind hier und seinem Vater zu tun hatte.
    Sie merkte kaum, wie sie den kleinen Balduin auf den Boden setzte, Audacer nachstürzte und mit ihren kleinen Fäusten wie von Sinnen auf seinen Rücken eintrommelte.
    »Wie könnt Ihr freiwillig wegwerfen, was mir genommen wurde? Wie könnt Ihr nur!« Mühelos durchbrachen die Worte den Damm, den sie in den letzten Monaten stets zu bewahren gewusst hatte. Kaum flössen die ersten aus ihrem Mund, wusste sie, dass sie die weiteren nicht würde halten können. »Ihr klagt, weil Ihr Eure Frau verloren habt? Was ist das schon für ein Schmerz, gemessen an dem meinen? Ich habe alles verloren, alles, alles, alles! Ich habe zugesehen, wie sie meinen Gatten erschlagen haben. Er konnte sich nicht einmal wehren, zu zweit haben sie mit Hacken auf ihn eingeschlagen, am Ende war sein Gesicht nur mehr ein blutendes Loch, und seine Glieder waren zertrümmert. Bei allen haben sie’s so gemacht, bei den Männern, bei den Frauen, bei den Kindern. Nein, bei den Kindern haben sie noch Schrecklicheres getan. Bei den Kindern … bei meinem Kind … Ich hatte einen Sohn, ich hatte einen kleinen Sohn …«
    Ihre Stimme brach, alles begann sich zu drehen. Plötzlich wusste sie nicht mehr, wo sie war, mit wem sie sprach. Audacer hatte sich ihr zugewandt, starrte auf sie herab.
    »Wie könnt Ihr Euren Sohn aufgeben?«, brüllte sie mit letzter Kraft. »Wie könnt Ihr nur?«
    Und wie konnte ich mein Kind aufgeben?, dachte sie. Wie konnte ich zulassen, dass es starb, ich aber weiterlebte?
    Ihre Kehle schmerzte. über Wochen hatte sie kaum etwas gesagt, und nun schrie sie so laut, dass sie einzelne Silben verschluckte, diese in einem wüsten Gebrüll untergingen, nicht unähnlich jenem, das ihre Nachbarn, ihre Familie, ihr Gatte ausgestoßen hatten, als die Normannen sie ausgemerzt hatten.
    Ihre Fäuste fühlten sich wund an. Doch sie konnte nichtaufhören, drosch und drosch auf ihn ein, bis Audacer, anfangs schlichtweg überrumpelt, sie schließlich entsetzt festhielt.
    »Bist du von Sinnen, Weib?«, schrie er.
    »Ihr seid von Sinnen, wenn Ihr das abschlagt, was der Herr Euch gelassen hat! Mir hat er nichts gelassen, gar nichts!«
    »Lass mich in Ruhe!«
    »Es steht Euch nicht zu, Euch gegen Seinen Ratschluss aufzulehnen, Euch nicht!«
    Sie hatte das Gefühl, nicht mehr zu schreien, sondern die Worte zu erbrechen wie einen übelriechenden Schleim. Sie merkte kaum, wie er sie schließlich zurückstieß und sie durch den halben Raum taumelte, an einer der gedrechselten Bettsäulen anstieß und das Gleichgewicht verlor. Sie fiel, krachte mit der Stirn auf den harten Boden. Sie sah nicht, wie Audacer ging, denn ihr wurde schwarz vor Augen. Erst als sie sich stöhnend auf den Rücken wälzte, konnte sie aufhören zu schreien.
     
    Johanna wusste später nicht mehr, wie lange sie am Boden liegen

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