Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
von halb verschorftem Fleisch rot und aufgeschürft hervortrat. Rolen sagte nichts. Tahn zog seine eigene Kette straff, ignorierte das Brennen in seiner Schulter und ergriff im fahlen Schein des Lichts, das durch das Gitterfenster über ihnen fiel, die Hand des Sheson.
14
Die Sodalität und die Klinge der Zeitalter
A uf den Wällen loderte eine Unzahl von Fackeln. Wimpel, die im Licht flatterten, warfen geistergleiche Schatten auf die hohen Steinmauern. Soldaten, die ihre Umhänge eng um die Schultern gezogen hatten, gingen in regelmäßigen Abständen auf und ab, den Blick auf die ausgedehnten Ebenen um Decalam gerichtet. Braethen war beeindruckt von Höhe und Ausdehnung der Befestigungsanlage. In der Ferne verschmolz die Mauer mit dem Nachthimmel, bis auf die Fackeln, die sich als flackernde Reihe weit in beide Richtungen erstreckten.
Zelte, Wagen und behelfsmäßige Verkaufsstände säumten die Straße rechts und links von ihnen, und ein paar niedrige Lagerfeuer brannten in der Nacht. Aber diejenigen, die hier lebten oder Handel trieben, schliefen nun in Erwartung eines neuen Arbeitstages. Nur ein paar ruhelose Seelen saßen nahe bei den Flammen und machten sich nicht die Mühe, zu den Reisenden aufzusehen, als sie vorbeikamen. Der Geruch von Menschen, die in drückender Enge lebten, lag in der Luft: Essensreste, tröpfelndes Fett, Tiere, Unrat. Eine gewisse Leere machte sich in Braethens Herz breit, als er sich einen Weg durch die schlafende Menge suchte.
Am Tor klopfte Vendanji an und trat dann zurück. Von oben sah ein Wachsoldat herunter und wollte etwas sagen, aber als er den Sheson erspähte, verschwand er schnell außer Sicht. Einen Augenblick später quietschten die Angeln, als der linke Torflügel nach innen aufschwang und der Soldat in die Öffnung trat.
»Sheson.« Er rang nach Luft. »Vendanji, Ihr kommt spät zu uns.«
»Es freut mich, Euch zu sehen, Milon.« Vendanji nickte und streckte die Hand aus.
Der Soldat neigte den Kopf und umfasste zum Gruß vertraulich die Hand des Sheson. »Die Dinge sind hier in Bewegung, mein Freund. Es ist gut, dass Ihr nachts kommt.«
»Was gibt es Neues?«
»Ein Erlass beschränkt den Zugang zur Stadt.« Der Soldat warf über die Schulter einen Blick auf etwas hinter dem Tor. »Die Regentin hat das Große Mandat einberufen, aber bisher reagieren nur wenige Völker darauf. Wir haben eine Flut von Prätendenten auf unbesetzte niedere Sitze in der Versammlung und Bauern, die behaupten, das Recht zu haben, über die Regierung mitzubestimmen. Selbstgenähte Huraldik, auf Mistgabeln aufgepflanzt, kündigt sie an.« Milon lächelte schief.
»Huraldik?«, wiederholte Vendanji in leicht tadelndem Tonfall.
»Entschuldigt bitte, Sheson.« Der Mann verneigte sich er neut. »Aber wie richtige Heraldik kommt es uns hier kaum vor. Es kommen etwa dreißig niedere Sitze auf jeden König, der in der Versammlung am Haupttisch sitzt. Der Zweite Eid liegt schon so lange zurück, dass diese Mädchen und Burschen keine Ahnung haben, was zu tun ist. Und viele von ihnen sind eben nur Möchtegerns, das sage ich Euch! Ich vermute, dass auf ihre Stimmen kein Verlass sein wird, wenn die Regentin in der Versammlung zur Eidesleistung aufruft. Aber vielleicht irre ich mich ja auch. Und bis dahin sind nur die wenigsten – ob nun wahre Sitzinhaber oder nicht – bereit, das Kommando über Männer zu übernehmen, um sie auf die Jagd nach Gerüchten zu …«
Vendanjis Blick ließ den Mann schlagartig verstummen.
»Meine Himmel, es sind keine Gerüchte, nicht wahr?« Das Gesicht des Wachsoldaten erschlaffte merklich.
»Wir haben dringende Angelegenheiten zu erledigen, mein Freund. Du hältst den Mund über unser Kommen.«
Der Soldat nickte und gab sofort das Zeichen, das Tor weiter zu öffnen.
Neben Grant ritt Braethen als Letzter in die Stadt und staunte über die gewaltigen, dunklen Umrisse der Gebäude, die in den Nachthimmel aufragten. Es war kaum zu glauben, dass sie angekommen waren. Helligtal, Bollorg, Myrr, Sedagin und Witwendorf – das alles schien vor Ewigkeiten gewesen zu sein.
Jeder Halt auf dem Weg nach Decalam schien für ein bestimmtes Ende zu stehen – das des Friedens, das idealistischer Vorstellungen, sogar das des Lebens. Braethen grübelte, ob der Sheson es wohl immer so empfand. Wie muss sich diese Bürde anfühlen? Sie war Vendanjis Gesicht nicht anzumerken, allenfalls als Versprechen, etwas zu unternehmen, als sture Entschlossenheit, die Richtigkeit seines
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