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Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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eingefallen war.
    Eine Frage aber blieb noch.
    Braethen legte die Hände auf den Tisch, um sie am Zittern zu hindern, und ließ den Blick durchs Zimmer schweifen, um sich den Moment einzuprägen, bevor er seine Frage an Malick richtete. Es hatte sich so viel geändert, seit er von zu Hause aufgebrochen war. Er fühlte sich wie ein einsamer Grashalm auf einer Ebene voller Asche, allein, verwundbar, ausgedörrt. Letzten Endes verzehrte ihn vor allem sein Wissensdurst, aber er spürte auch, dass jedes Maß an Erkenntnis weitere Erwartungen nach sich zog und dass dieser Moment, diese nächste Frage, von solchem Gewicht war, dass es ihn vielleicht zermalmen würde.
    Braethen starrte Malick unverwandt an. »Und was ist hiermit?« Er legte die Handfläche auf das Schwert an seinem Gürtel. Malick folgte der Bewegung nicht. Es war auch nicht nötig. Das Gesicht des Mannes sah Braethen gleichmütig und unergründlich an. Braethens Rücken- und Brustmuskeln verspannten sich.
    Malick verzog die Lippen zu einem halben, schiefen Lächeln. »Das, mein Freund, ist mehr, als ich Euch erzählen könnte … mehr, als ich selbst weiß. Vendanji hat Euch seinen Namen genannt. Ich wage es nicht, ihn zu wiederholen. Die Klinge selbst ist eine Bedrohung, die ich nicht verstehe. Behütet sie, Braethen. Erhebt sie, falls und wenn Ihr müsst, aber lernt aus ihr so viel wie aus Euren Büchern.« Malicks Augen schienen durch Braethen hindurch und über ihn hinaus zu sehen. »Bei meinem letzten Himmel … Ihr seid doch noch ein Junge!«

15
    Schreckliche Erhabenheit
    A m Morgen seines Einstands schlug Tahn die Augen in so völliger Dunkelheit auf, dass er sich nicht sicher war, sie überhaupt geöffnet zu haben. Der vertraute fahle Schein der Lampen vor seiner Zellentür war verschwunden. Unter seiner Wange diente ihm eine Kettenschlinge als unbequemes Kissen und erinnerte ihn daran, wo er schlief. Die Kälte des Steins gebot ihm, sich aufzusetzen, und er gehorchte langsam, obwohl seine Muskeln sich gegen die Bewegung sträubten. Seine Hüften und Schultern schmerzten, weil sie sein Gewicht auf der harten Felsoberfläche getragen hatten.
    Tahn wandte den Kopf in der Hoffnung, irgendeinen Funken Licht zu erspähen. Er blinzelte, schaute genau hin und sah nur Leere. Und doch fühlte es sich nach jenen allmorgendlichen Stunden an, in denen er stets über den kommenden Tag nachdachte. Er starrte in die undurchdringliche Finsternis ringsum und erinnerte sich an den Sonnenaufgang von der Spitze des Windgipfels aus. Für einen ganz kurzen Moment war er dort, sah das Hervorbrechen des Lichts am blassblauen Himmel über den Seliahügeln. Aber der Augenblick verging und wich den nachtschwarzen Tiefen, die ihn umgaben. Anscheinend überlebte hier noch nicht einmal die Erinnerung sehr lange, da die Dunkelheit das Licht sogar in Gedanken verschlang. Tahn saß da, lauschte seinem eigenen Atem und erkannte an dem Geräusch, dass er noch am Leben war.
    Wenn seine Einschätzung zutraf, dann war das Mindere Licht gestern Abend voll geworden – ein kompletter Zyklus war seit seinem Geburtstag vergangen. In Helligtal wären nun Vorbereitungen für die Zeremonie in der Feldsteintaverne getroffen worden. Die Dorfältesten hätten sich im Hinterzimmer versammelt. Tahn hatte sich immer die freudige Erregung ausgemalt, die damit einhergehen würde, die Melura zugunsten der Verantwortung aufzugeben, die ihn nach dem Wandel erwartete. Er hatte darüber nachgedacht, was es den Mädchen bedeuten würde, dass sie ihn vielleicht ganz anders ansehen würden, und hatte sich gefragt, welche neue Weisheit wohl in ihm heraufdämmern würde, wenn die Zeremonie vorüber war.
    Danach hätte es Essen und Musik gegeben; die Männer hätten sich um ihn geschart, um ihm in ruhigem, ernstem Ton weise Ratschläge zu erteilen. Die Frauen hätten ihn prüfend gemustert, vor allem die mit Töchtern. Jüngere Knaben, die es gar nicht abwarten konnten, die Geheimnisse des Wandels zu erfahren, hätten ihn mit unzähligen Fragen bedrängt, genau wie er es selbst bei den Jungen getan hatte, die vor ihm ihren Einstand gefeiert hatten. Und im tiefsten Innern hatte Tahn gehofft, dass die Erinnerungen an eine beharrliche Stimme – die des Mannes aus seinen Träumen – für immer verschwinden würden, dass er endlich verstehen würde, was die geheimnisvollen Worte zu bedeuten hatten.
    Heute ging für ihn die Sonne auf, als Wachen auf dem Gang vorbeikamen und außerhalb seiner Sichtweite eine

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