Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
lungerte hinter uns im Dunkeln. Mitten im Eingangsflur stand Roger Capel mit puterrotem Gesicht vor seiner Tochter, die rechte Hand in die Hüfte gestemmt, in der linken hielt er ein zusammengerolltes Blatt Papier. Er stand unmittelbar unter einer gläsernen Lampenkuppel, die mit den Leichen von Motten und Fliegen gefüllt war. Die Schatten der toten Insekten betüpfelten sein Gesicht und das Papier in seiner Hand.
» Was zum Teufel ist das?«, schrie er immer wieder. » Was zum Teufel ist das?« Rex erkannte den Brief in der Hand seines Vaters ein paar Sekunden vor mir, und er gab ein wimmerndes Geräusch von sich, das niemand außer mir hörte. » Noch nie in meinem ganzen Leben bin ich so sehr beleidigt worden. Ich musste herkommen, um sicher zu sein, dass es wirklich wahr ist. Was wolltest du damit erreichen?«
Alle fünf standen wir bewegungslos wie Schachfiguren auf dem karierten Boden, als warteten wir darauf, dass eine Riesenhand sich auf uns herabsenkte und unseren nächsten Zug bestimmte. Rex und ich waren auf diesen Überfall nicht gefasst.
Capel war seit über zehn Jahren nicht mehr im Haus seiner früheren Familie gewesen, wusste ich. In der Stille, die auf seine Tirade folgte, versuchte ich, die Umgebung mit seinen Augen zu sehen. Eine Flut von alten Zeitungen schwappte an den Rändern des Raums, und leere Flaschen, die nie zum Glascontainer gebracht worden waren, stapelten sich hüfthoch. Eine Zigarette war auf den glasierten Fliesen ausgetreten worden wie auf dem Pflaster an einer Bushaltestelle. Jacken, die nachlässig auf Haken und Kleiderständer geworfen worden waren, lagen da, wo sie gelandet waren. Capel sah Guy und mich an, als wären wir nur weiterer Unrat. Er fuhr sich mit der Hand über den kahlen Schädel und ließ sie dann im Nacken liegen, eine Gebärde, die ich bei Rex schon ein paar Dutzend Mal gesehen hatte. Ich sah, dass sein Gesicht sich weiter verdunkelte und allmählich die Farbe des Merlots annahm, den wir den ganzen Abend getrunken hatten, und ich begriff, dass Roger Capel nicht schwieg, weil er sich wieder beruhigte, sondern weil die wachsende Wut ihn lähmte.
» Was zum Teufel geht hier vor ?« Die Frage war an seine Kinder gerichtet.
» Daddy, bitte«, sagte Biba. » Ich verstehe das nicht. Warum schreist du? Was ist denn passiert?«
» Ich komme eben mit meiner Familie von einem Wochenende auf dem Land zurück und finde das hier auf meiner Fußmatte.« Er gab ihr den Brief und verschränkte die Arme. Während sie ihn las, huschte Capels Blick von Rex zu mir und weiter zu Guy und wieder zurück zu Rex, und nie gewährte er uns ein paar Sekunden Schonung, damit wir den notwendigen Blickkontakt zwischen uns herstellen konnten.
» Rex, das ist deine Handschrift«, stellte Biba fest.
» Ich hab’s nicht abgeschickt.« Ich sah mich plötzlich zurückversetzt zu dem Abend im Samtzimmer, als ich bewusstlos gewesen war. Ich sah mich, wie ich mit dem Finger auf den blauen Umschlag klopfte und Guy erzählte, dass alles, was mit dem Haus zu tun habe, da drin sei. Als ich aufgewacht war, hatte der Umschlag auf dem Sekretär gelegen… aber nicht Rex hatte ihn dort hingelegt.
» Aber du hast es geschrieben, verdammt«, sagte Capel. » Ich war bereit, Frieden mit euch zu schließen, ich bin mit dir in den Pub gegangen, und zwei Tage später kriege ich das hier, diesen Schmähbrief, in dem du mich eine Fotze nennst und all die Rechtsmittel auflistest, die du gegen mich anwenden wirst. Rechtsmittel, verdammt. Ich bin dein Vater. Du hast keine Ahnung, wie gut ich zu euch gewesen bin. Weißt du, was dieses Haus wert ist? Weißt du, was ich kassieren könnte, wenn ich es vermiete?«
» Du solltest das gar nicht sehen«, sagte Rex.
» Fuck, darauf wette ich, aber ich bin froh, dass ich es doch gesehen habe. Jetzt kenne ich dein wahres Gesicht. Und beinahe hattest du mich schon so weit. Ich war so dicht davor, es zu überschreiben.« Mit fleischigem Daumen und Zeigefinger formte Roger Capel eine Zange.
» Dad, bitte. Lass mich erklären…« Rex wippte auf den Fersen vor und zurück und drückte die Hände an den Kopf. Ich hatte ihn schon einmal in einem solchen Zustand gesehen, aber da hatte Nina ihn beruhigt. Mit einer Inbrunst, die einem Gebet nahekam, wünschte ich mir, ich hätte sie gebeten, mir die Worte zu verraten, die ihn zu mir zurückbringen würden.
» Sieh euch an, euch beide. Sieh dich hier um. Du kannst dich nicht um ein Haus kümmern. Du bist der Verantwortung nicht
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