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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Aufständischen im Dunkel in Nichts aufgelöst wie ein böser Traum.
    Jetzt blieb Pierre einen Augenblick auf dem verlassenen Bürgersteig stehen. Er stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung und des Triumphes aus. Die Lumpen, diese Republikaner, überließen ihm also Plassans. Zu dieser Stunde gehörte die Stadt ihm. Sie schlief wie eine Törin; dunkel und friedlich, stumm und zufrieden lag sie da, und er brauchte nur die Hand auszustrecken, um sie zu nehmen. Dieser kurze Halt, dieser Blick, den er als überlegener Mann auf den Schlaf einer ganzen Unterpräfektur warf, bereitete ihm unsagbaren Genuß. Er stand da mit verschränkten Armen und nahm, ganz allein in der Nacht, die Haltung eines großen Feldherrn am Vorabend eines Sieges an. Aus der Ferne vernahm er nur den Gesang der Springbrunnen vom Cours Sauvaire, deren Wasserstrahlen klingend in die Becken fielen.
    Dann kamen ihm Bedenken. Wenn unglückseligerweise das Kaiserreich schon ohne ihn zustande gekommen wäre! Wenn die Herren Sicardot, Garçonnet und Peirotte, anstatt verhaftet und von den Aufständischen fortgeschleppt zu werden, die ganze Bande in die Gefängnisse der Stadt geworfen hätten! Kalter Schweiß brach aus seinen Poren; er setzte sich wieder in Bewegung in der Hoffnung, daß ihm Félicité einen genauen Bericht geben werde. Er ging jetzt schneller, an den Häusern der Rue de la Banne entlanghuschend, als ein merkwürdiges Schauspiel, das er beim Aufblicken bemerkte, ihn wie angewurzelt stehenbleiben ließ. Ein Fenster des gelben Salons war strahlend erleuchtet, und eine schwarze Gestalt, in der er seine Frau erkannte, beugte sich im Lichtschein heraus und fuchtelte verzweifelt mit den Armen. Er fragte sich, was geschehen sein könnte, begriff nichts und erschrak, als ein harter Gegenstand gerade vor seinen Füßen auf den Bürgersteig aufschlug. Félicité warf ihm den Schlüssel zum Schuppen zu, worin er einen Vorrat an Gewehren versteckt hielt. Dieser Schlüssel bedeutete unmißverständlich, daß man zu den Waffen greifen müsse. Er machte kehrt, ohne zu begreifen, warum ihn seine Frau daran gehindert hatte, hinaufzugehen, und stellte sich schreckliche Dinge vor.
    Er ging geradeswegs zu Roudier, den er zwar außer Bett und marschbereit antraf, der aber von den nächtlichen Vorgängen gar nichts wußte. Roudier wohnte am äußersten Ende der Neustadt, in einer stillen, abgelegenen Gegend, wohin kein Widerhall vom Durchzug der Aufständischen gedrungen war. Pierre schlug ihm vor, Granoux zu holen, dessen Haus an der Ecke des Place de Récollets lag und unter dessen Fenstern der Zug vorbeigekommen sein mußte. Das Dienstmädchen des Herrn Stadtrats verhandelte lange, ehe sie die beiden einließ, und sie hörten, wie der arme Mann mit zitternder Stimme aus dem ersten Stock herunterrief: »Machen Sie nicht auf, Catherine, die Straßen sind voller Räuber!«
    Er hielt sich in seinem unbeleuchteten Schlafzimmer auf. Als er seine beiden guten Freunde erkannte, war er erleichtert, wollte aber nicht, daß das Dienstmädchen eine Lampe brachte, aus Angst, das Licht könnte eine Kugel anlocken. Er schien anzunehmen, die Stadt sei noch voll von Aufständischen. In Unterhosen lag er hintenübergelehnt in einem Sessel am Fenster, den Kopf mit einem seidenen Tuch umwickelt, und jammerte:
    »Ach, liebe Freunde, wenn Sie wüßten! Ich versuchte, mich schlafen zu legen, aber sie machten solchen Lärm! Da habe ich mich in diesen Sessel geworfen. Ich habe alles mit angesehen, alles. Schreckliche Gesichter, eine Bande von entsprungenen Zuchthäuslern! Dann kamen sie nochmals vorbei und schleppten den braven Kommandanten Sicardot mit, den würdigen Herrn Garçonnet, den Postvorsteher, all diese Herren, und stießen ein wahres Kannibalengeheul aus!«
    In Rougon stieg eine heiße Freude hoch. Er ließ Granoux wiederholen, daß dieser wirklich den Bürgermeister und die andern in der Horde gesehen habe.
    »Wenn ich es Ihnen doch sage!« schluchzte der gute Mann. »Ich stand hinter meiner Jalousie … Das ist wie mit Herrn Peirotte; sie kamen auch und haben ihn festgenommen. Ich hörte, wie er beim Vorbeigehen unter meinem Fenster sagte: ›Meine Herren, tun Sie mir nichts zuleide!‹ Sie haben ihn sicher gefoltert … Es ist eine Schande, eine Schande …«
    Roudier beruhigte Granoux mit der Versicherung, daß die Stadt jetzt frei sei. Daher ergriff den würdigen Mann denn auch eine schöne kriegerische Begeisterung, als ihm Pierre eröffnete, er wolle ihn

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