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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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füreinander entschieden hatten, ihr Leben lang zusammenbleiben mußten, fußte auf dem unbedingten Wunsch nach Harmonie, und der Annahme, daß es gut war, wie es war, und daß alles am besten war, wenn er keine Fehler machte. Eine Trennung wäre mehr als ein Fehler gewesen, eine Schwäche, eine Nachgiebigkeit, die er sich nicht erlauben wollte, denn Nachgiebigkeit machte unzufrieden und öffnete erst Tür und Tor für Disharmonien. Er war beharrlich in seiner Liebe und daher fast gottergeben treu. Sein Vertrauen in die Zukunft wuchs seltsamerweise aus einer ähnlichen Substanz, aus der mitunter Fatalismus erwachsen kann. Es ging alles immer irgendwie weiter. Ob besser oder schlechter, das spielte keine Rolle. Die Hauptsache war, daß es weiterging. Daß man in Bewegung blieb. In Bewegung blieb er, weil ihn seine Einbildungskraft viel weiter trug als jede Muskelkraft. Er war vollständig überzeugt davon, die Herausforderungen des Alltags mittels Nachdenken, also dank seines Kopfes zu meistern. Eine Ausnahme: Er wollte ein Fahrrad, er wollte schneller zur Arbeit kommen. Und als er eines hatte, versuchte er, wohl angetrieben von dieser Beschleunigung, ein einziges Mal sein Leben strategisch geplant zu ändern. Aber er schaffte es nicht, von der letzten Seite – die auch noch von Aus aller Welt in Die Letzte Seite umgetauft wurde – auf eineder ersten zu wechseln. In der Politik hielt man ihn für zu konfliktscheu, im Feuilleton für zu gnädig, für die Wirtschaft war er zu wenig Rationalist. »Sei ehrlich«, sagte der Chefredakteur zu ihm, einer, der es mit überzeugender Chuzpe geschafft hatte, den Amerikanern weiszumachen, er habe nicht ein gutes Wort an Hitler gelassen, »sei ehrlich, du willst doch diesen Schuttberg gar nicht auf den Schultern haben.« Anton stimmte ihm, während eines Spaziergangs, zu, dann doch erleichtert, daß ein anderer eine Entscheidung für ihn getroffen hatte. Er hatte den Krieg überlebt, seine Familie mit ihm, was gab es jetzt Wichtigeres, als nach vorn zu schauen und seine Talente dazu zu nutzen, den Menschen wohlfeiles und unterhaltsames Vergessen zu bringen.
    Vielleicht war genau diese verzichtvolle Bequemlichkeit – gepaart mit einem ruhigen Unverständnis darüber, daß das eigene Handeln Konsequenzen mit sich führen könnte – einer der Gründe, warum er nicht abwehrend reagierte, als der Fremde ihn am Hinterausgang des Bürogebäudes ansprach.
    Ein unauffälliger Zeitgenosse, höflich, direkt, wahrhaft verbindlich. Er war an ihn herangetreten mit den Worten: »Bin ich richtig informiert, daß Sie eine Zeit Ihres Lebens in Moskau verbracht haben?«
    Der Mann, der sich ihm als Gustav Brehm vorstellte, lud ihn ein in den Flachbau des wiedereröffneten Café Kranzler. Er hatte das Gesicht eines Menschen, den man sofort wieder vergaß. Schütteres Haar, zwei langzüngige Geheimratsecken, graumelierte Haare wie die Augenbrauen. Anton ging auf die Toilette, als er zurückkam, mäanderte er für Minuten durch die Tischreihen, unsicher, mit wem der Gäste er zusammengesessen hatte. Nur, weil Gustav Brehm ihn zielsicher anschaute, fand Anton zu ihm zurück.
    Diese Unaufmerksamkeit war ihm peinlich, und er begann, dem Fremden viel mehr zu erzählen, als es sich eigentlichschickte. Gustav Brehm entpuppte sich als konzentrierter Zuhörer, und Anton war geschmeichelt durch Brehms interessierte Nachfragen.
    Nach einer Weile verschränkte Herr Brehm die Finger zu einem geflochtenen Bollwerk, legte die Unterarme auf den Tisch und beugte sich vor. »Sie sind der Sowjetunion verbunden«, begann er leise, »das habe ich recht verstanden.« Anton nickte.
    »Sie lieben das Land, die Menschen.« Anton wog ab, nickte dann.
    »Es ist Ihre alte Heimat, in die es schon Ihre Eltern gezogen hatte.« Auch das bestätigte er.
    »Sie würden sehr gut von uns bezahlt werden.« Anton schaute Herrn Brehm an, der aber wiederum nur einen Punkt knapp neben Antons Kopf zu fixieren schien. »Wir zahlen für jede Information, wir zahlen in bar, auch in Dollar, wenn die Informationen es wert sind.«
    Anton betrachtete das festgeflochtene Nest aus Gustav Brehms Fingern.
    »Ihre Frau wird es lieben, eine exklusive Reise. Spanien, Italien, das Mittelmeer.«
    »Spanien«, sagte Anton. Er atmete tief ein, das hob seinen Brustkorb. Er strich sich die Krawatte glatt. Neben ihm lachte ein Pärchen in Berlinerischer Kaltschnäuzigkeit.
    »Im Augenblick ist alles eine Frage des Gleichgewichts«, konstatierte Herr Brehm

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