Das glückliche Ende der Welt.
»Daß das gerade heute —«, ängstigte sich die Burgl. »ist wie ein Zeichen — wie wenn Gottes Zorn dreingeschlagen hätte.«
Es war Sonnenschein und blauer Himmel und die Wälder um Stinglreut prangten im herrlichen Vorsommergrün, als man auf dem kleinen Friedhof bei der Kirche den Förster Greiner von der Guglwies in die Erde senkte. Viele seiner Kollegen waren gekommen, standen mit verschlossenen Gesichtern um das Grab, und die neue Fahne der Feuerwehr Stinglreut senkte sich. Der Forstmeister aus der Stadt sprach von erfüllter Pflicht und von der Ruchlosigkeit einer Tat, die einem Manne, der nichts tat als das, was er für Volk und Staat tun müßte, das Leben gekostet hätte. Das weite Rund der Trauergemeinde über den Friedhof hinaus bildeten die Bewohner von Stinglreut. Es wollte niemand fehlen, um nicht dem Leutgerede ausgeliefert zu werden, und selbst aus dem Weberhaus war die Botin da, wischte sich die Augen, als hätte man ein Verwandtes in die Erde hinabgelassen. Die alten Holzhauer hatten den braunen Sarg aus dem Spritzenhaus zur Grube im Friedhof getragen, und sie waren hinter die tiefverschleierte Witwe getreten, die das schluchzende Annerl an der Hand hielt. Der Keppl Ambros suchte mit starrem Blick in den Gesichtern der Männer aus dem Dorfe, und der Thums Kaspar schaute mit feuchten Augen auf das offene Grab nieder. Am Kopfende des Grabes und hinter den Kreuzen und Steinen anderer Gräber drängten sich die Hausgesessenen von Stinglreut. Da waren der Holzbauer und der Sägmüller, der Daglwirt, der Kramer und auch der Reibenwirt. Seine Augen wichen dem Geschehen bei der Beerdigung aus und richteten sich auf den Kirchturm, um dessen Zwiebel die Schwalben zwitscherten.
In einer kurzen Ansprache wies der Pfarrer auf das Buch der Vorsehung hin, in dem wir nicht lesen können und deshalb auch nicht wissen, ob nicht schon die nächste Minute unsere letzte sei. In diesem Buche aber stehe auch schon die Sühne für diese schreckliche Tat vorgezeichnet, und der Mörder werde ihr nicht entkommen. Gottes Mühlen mahlen oft sogar schnell.
Fassungslos weinte die Försterin auf, als die polternden Erdschollen noch einmal daran erinnerten, daß es auf dieser Welt mit dem Verstorbenen kein Wiedersehen mehr gab, und als sie schwankte, da trat die Burgl zu ihr und stützte sie.
»Ich hätte ihn nicht allein lassen sollen«, flüsterte sie der Burgl zu, »ich bin ihm davongelaufen.«
Es waren an diesem Tag nur ein paar Mann von der Feuerwehr, die ihre Fahne zum Reibenwirt zurücktrugen und dort einkehrten. Der größte Teil der Männer ging zum Daglwirt hinunter. Das war noch nie dagewesen, denn immer war das Trauergefolge nach einer Beerdigung gleich zum gegenüberliegenden Reibenwirt gegangen. Doch niemand sprach davon, warum das heute anders war.
Der Sommer ging über den Wald.
Auf der Guglwies war der erst jung verheiratete Forstwart Hauser aufgezogen, ein ruhiger und freundlicher Mann. Seine Frau war begeistert über das schöne Forsthaus mitten im Wald und suchte bald auch den Anschluß an die inzwischen etwas wortkarger und stiller gewordenen Einöder auf der Gschwend. Sie wünschte sich einen so frischen Buben, wie es der kleine Ambrosi war. Forstwart Hauser und seine Frau waren aus dem Frankenland gekommen und brauchten eine Weile, bis sie die grobe Mundart der Gschwender verstanden. Diese wiederum mußten sich erst an die Sprache und Art der neuen Forstwartsleute gewöhnen.
Um das Forsthaus auf der Guglwies sprangen und tollten nun zwei Hunde, die oft ihren Herrn auf seinen Dienstgängen begleiten durften. Die Frau des Försters Greiner hatte Hunde nicht leiden können.
Immer noch war das Dorf Stinglreut wie in einen Bann geschlagen. Was man in Worten nicht sagen konnte, trug man in den Augen, deutete es durch Schulterzucken an. Selbst zwischen guten Nachbarn sagte man sich nicht mehr alles. Das Mißtrauen ging um. Es lastete wie ein Alp auf den Menschen. Selbst das Ereignis einer großen Hochzeit konnte das nicht ändern.
Die Hochzeitsfeier der Wirtsresl mit dem Christian Weber verlief denn auch trotz allen Aufwandes wie eine traurige Komödie. Sogar die Musikanten schienen die Unsicherheit im Hals zu haben, und von der großen Zahl der Geladenen erschien nur ein kleiner Teil. Kein Juchzen kündete von einem fröhlichen Tag, manch armer Hochzeiter hatte schon einen größeren Anhang im Kirchenzug als die Wirtsresl. Beim Hochzeitsmahl wollte keine Unterhaltung aufkommen, erst recht dann nicht
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