Das Gluehende Grab
Anspielung ein. Markús hatte ein Alibi,
und außerdem hatten die Informationen der Ärztin den
Verdacht von ihm abgelenkt. Völlig gleichgültig, wie
überzeugt Stefán von seiner Schuld war – kein
Richter würde glauben, dass Markús Alda umgebracht
hatte. »Natürlich lege ich gegen eine Verlängerung
der U-Haft Einspruch ein. Ich kann euch nur wünschen, dass ihr
mehr vorzubringen habt als deine vagen
Vermutungen.«
»Also
dann«, sagte Stefán, »wir sehen
uns.«
Dóra
verabschiedete sich schroff von ihm und fühlte sich sofort ein
bisschen besser. Aus dem gemütlichen Fernsehabend mit ihrer
{295 }Tochter würde wohl nichts werden. Und es sah ganz so
aus, als wäre der Fall noch nicht abgeschlossen, wenn Matthias
eintraf. Dóra stand auf und sammelte die Unterlagen
zusammen, die sie zur Vorbereitung brauchte. Hoffentlich konnte sie
sie zu Hause durcharbeiten, ohne dass Sóley enttäuscht
war. Sonst müsste sie damit warten, bis ihre Tochter im Bett
lag. Es hatte in letzter Zeit schon zu viele gebrochene Versprechen
gegeben. Dóra schreckte aus ihren Gedanken hoch, als ihr
einfiel, dass sie Markús’ Sohn Hjalti noch anrufen
musste. Als sie ihm die Entscheidung der Polizei mitteilte, schrie
er laut auf. »Es ist nicht gesagt, dass dem Antrag der
Polizei auch stattgegeben wird!«
»Doch,
bestimmt.« Hjaltis Stimme war trotzig wie bei einem kleinen
Kind. »Sie pressen bestimmt ein Geständnis aus ihm
heraus.«
»Nein,
das werden sie nicht tun«, beschwichtigte ihn Dóra.
Der Junge musste wohl von einem Erwachsenen hören, dass alles
in Ordnung war. Dass sein Vater freigelassen würde, ihn weiter
unterstützen und ihm eine Wohnung auf den
Westmännerinseln kaufen würde. »Solche Fälle
können sehr kompliziert sein, und oft landen gerade
diejenigen, die es am wenigsten verdient haben, mittendrin. So wie
dein Vater. Wenn er niemanden umgebracht hat, dann wird er auch
nicht verurteilt. Darum kümmere ich mich schon.« Sie
wollte noch etwas hinzufügen, aber der Junge fiel ihr ins
Wort.
»Und
wenn jemand selbst keinen Mord begangen, sondern dem Mörder
nur geholfen hat? Was dann?«, fragte der Junge
atemlos.
Dóra
wusste, dass dieser jemand sein Vater war und der Junge sich
Gedanken über eine mögliche Verbindung zu dem Mörder
machte. »Meiner Einschätzung nach hat dein Vater nichts
getan, was ihn mitschuldig machen würde. Er könnte dem
Mörder unwissentlich geholfen haben, aber dann ist er nicht
schuldfähig.«
»Okay«,
sagte Hjalti immer noch angstvoll. »Vielleicht komme ich
morgen um zwei. Ist das in Ordnung?«
»Ich
glaube nicht, dass du deinen Vater sehen kannst. Aber du kannst
natürlich kommen und draußen warten, wenn du willst.
Dann können wir uns anschließend treffen, und ich
erzähle dir, wie’s war.« Der Junge stimmte zu, was
Dóra nicht gerade begeisterte, und sie verabschiedeten
sich.
Als das
Telefon klingelte, war Bella in der Leitung. »Ich hab das
Tattoo gefunden! Am besten kommst du her und siehst es dir
persönlich an.«
Das
Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden, das vor kurzem
verhängt worden war, war offenbar noch nicht bis in
Tattoo-Studios vorgedrungen. Bella blies eine dicke Rauchwolke in
Dóras Richtung. Der exzentrische Besitzer des Studios hatte
ebenfalls eine brennende Zigarette zwischen den Lippen, weshalb
Dóra sich lieber nicht beschwerte und Bella nur einen
bösen Blick zuwarf. Sie fragte sich, was sie eigentlich hier
machte. Markús stand nicht mehr unter Verdacht, Alda
umgebracht zu haben, und Love Sex hatte nichts mit den
Kellerleichen zu tun. Aber sie wollte Bellas Nachforschungen nicht
geringschätzen. »Du glaubst also nicht, dass sich sonst
noch jemand dieses Motiv ausgesucht hat?«
»Wäre
ein verdammter Zufall«, antwortete der Mann, ohne die
Zigarette aus dem Mundwinkel zu nehmen. Er sog an der Zigarette und
blies den Rauch aus. Angesichts von Bellas
Männerbekanntschaften auf den Westmännerinseln
überlegte Dóra einen Moment lang, ob die beiden etwas
miteinander hatten. »Dieses Mädchen hat zwei Motive aus
meiner Mappe miteinander kombiniert.« Er stieß mit dem
Fuß gegen eine abgegriffene Mappe und beförderte sie mit
seinem schwarzen Armeestiefel quer über den
Sofatisch.
Dóra
lächelte höflich und griff nach der Mappe. »Warum
kannst du dich so gut daran erinnern?« Sie schaute sich um.
Die Wände waren mit Zeichnungen und Fotos von
Tätowierungen übersät. »Du machst so viel, da
kannst du dich doch unmöglich {297 }an jedes einzelne
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