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Das Gluehende Grab

Das Gluehende Grab

Titel: Das Gluehende Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardottir
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Motiv
erinnern.« Vielleicht war er eine moderne Ausgabe der alten
Bauern, denen man nachsagte, sie hätten alle Schafmarkierungen
im ganzen Land im Kopf.
    »Nee.«
Der Mann verschränkte seine muskelbepackten Arme. Als
Dóra den kleinen, heruntergekommenen Laden betreten hatte,
hatte sie zuerst angenommen, der Mann trage ein auffällig
gemustertes langärmeliges T-Shirt unter seiner Lederweste.
Aber so war es nicht. Seine Arme waren vom Handrücken bis zu
den Schultern mit farbenfrohen Bildern bedeckt – es wimmelte
nur so von Tigern und Urwaldpflanzen, wenn er seine Muskeln
anspannte. »Aber ich erinner mich an viele. Vor allem an echt
coole, aber auch an total ätzende.«
    Dóra
räusperte sich. »Und zu welcher Gruppe gehört das
hier?« Sie zeigte auf die Kopie des Love-Sex-Tattoos.
    Der Mann warf
Dóra einen vernichtenden Blick zu. »Das ist
scheiße. Richtig scheiße.«
    »Und du
kannst dich daran erinnern, obwohl du es vor einem halben Jahr
gemacht hast? Du hast kein Bild
aufgehängt.«
    »So
einen Scheiß hänge ich nicht auf, genauso wenig wie die
hundert Schmetterlinge, die ich den Mädels schon auf die
Fußknöchel tätowiert hab.« Der Mann verzog
vor lauter Ekel vor Schmetterlingen und anderen niedlichen Motiven
den Mund. »Wenn du mich fragst, was uncooler ist,
Schmetterlinge oder dieser Scheiß, dann würde ich sagen,
das Love-Sex-Tattoo. Echt eins der schlimmsten Motive, die ich je
gestochen hab. Das Mädchen war total dämlich, völlig
leer im Hirn.«
    Dóra
musste grinsen, da sie eben erst genauso voreilig über ihn
geurteilt hatte. »Hat sie dir erklärt, was es genau
bedeuten soll?«
    »Nee,
ich hab sie auch nicht danach gefragt. Hab versucht, es ihr
auszureden, aber davon wollte die nichts hören. Ich hab ihr
jede Menge andere echt coolere Motive gezeigt, aber das war wie
Perlen auf die Säue schmeißen.«
    Dóra
unterließ es, den Mann darauf hinzuweisen, dass man Perlen
vor die Säue schmiss, nicht auf die Säue. »Hat eine
gewisse {298 }Alda þorgeirsdóttir dich auch nach
diesem Tattoo gefragt? Sie war Krankenschwester.«
    Der Mann
nickte. »Wie ich ihr schon gesagt hab ...«, er zeigte
auf Bella, »... das ist schon echt ’n Ding, dass sich
mehrere Leute nach diesem Mist erkundigen. Die Tattoos, auf die ich
wirklich stolz bin, haben noch nie so viel Aufmerksamkeit erregt.
Falls ihr auch so eins haben wollt –
nein.«
    »Wollte
Alda eins haben?«, fragte Dóra
erstaunt.
    »Nee.«
Der Mann grinste und entblößte seine großen,
tabakbraunen Zähne. »Sie wollte wissen, ob und wann das
hier gemacht wurde.«
    »Konntest
du das beantworten?«
    »Ja,
klar. Ich führe eine Liste und musste nur nachschlagen. Die
Alte war total aufgeregt. Sie hat gesagt, sie würde
Nachforschungen fürs Krankenhaus anstellen, und das wäre
irgendwie wichtig.« Er drückte seine Zigarette aus, die
bis auf den Filter heruntergebrannt war. »Sie meinte aber,
sie schwört, dass diese Nachforschungen nichts mit meiner
Arbeit zu tun haben. Hätte mich auch gewundert – ich
achte sehr auf Sauberkeit.«   

    »Das
glaube ich gerne«, sagte Dóra und versuchte, nicht auf
die Flecken auf seiner schwarzen Lederweste zu starren. »Ist
es lange her, dass sie hier war?«   
 
    »Nee,
nicht so lange, höchstens zwei Monate. Sie hat gesagt, sie
würde schon länger nach dem Tattoo suchen, hätte
aber nichts von meinem Studio gewusst, weil es nicht im Telefonbuch
steht. Ein Typ, der ein Tattoo entfernen lassen wollte, hat ihr von
mir erzählt.« Er rümpfte die Nase. »Totaler
Idiot, der Typ.«
    »Kannst
du uns Infos geben, die du der Frau gegeben hast?«, fragte
Dóra. »Wir verwenden auch nichts gegen
dich.«
    »Erzählt
bloß keinem, wo das Tattoo gemacht wurde«, sagte er
grinsend. »Alles andere ist mir egal, also, falls ich das
jetzt so auf die Schnelle finde. Ich hab schon geschlossen und will
nach Hause.«
    Will ich auch,
dachte Dóra, will ich auch.
     
     
     

33
    MONTAG
23. JULI 2007
    Sóley
war mit dem Kopf im Schoß ihrer Mutter eingeschlafen.
Dóra strich ihrer Tochter übers Haar, reckte sich nach
der Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus. Die Sendung, die
die Kleine eingeschläfert hatte, hätte Dóra auch
fast ins Land der Träume katapultiert. Sie gähnte, legte
dem Mädchen ein Kissen unter den Kopf und breitete eine Decke
über sie. Sóley murmelte etwas, wachte aber nicht auf.
Dóra holte die Unterlagen, die sie aus der Kanzlei
mitgenommen hatte. Nachdem sie aus dem Tattoo-Studio nach

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