Das Götter-Opfer
eingraviert hatte. Er hatte um die Kraft des Kreuzes gewußt, aber auch um die des Ankh, und deshalb sogar auf Osiris vertraut, wie ich es nun Tausende von Jahren danach ebenfalls tat.
Noch passierte nichts, abgesehen davon, daß Selima weiter nach vorn schwebte.
Dann trat ich in den Schein hinein. Ich brauchte nur einen Schritt zur Seite zu gehen und hielt mich dort auf, wo er am intensivsten war. Ich wollte ihn erleben und hoffte dabei, eine Gegenwehr aufbauen zu können.
Der Strom erwischte mich.
Ich schaltete alle Logik aus und dachte nicht darüber nach, wie es möglich war, als Mensch zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart zu stehen. Ich wollte nur die Frau retten, und die rechte Hand mit dem Kreuz stieg langsam in die Höhe…
Die folgenden Sekunden waren entscheidend und würden mir zeigen, ob ich zu hoch gepokert hatte oder nicht. Mich erfaßte im ersten Moment ein Kältestrom, mit dem zugleich fremde Gedanken in meinen Kopf einsickerten. Es mochten die des Teufels sein, aber sie waren nicht klar zu filtern. Ich >hörte< nichts. Nur ein Brausen entstand in meinem Kopf, aber ich sah auch, wie sich die blutbefleckte Bestie zurückzog, denn sie hatte das Kreuz und das Ankh gesehen.
Verstand ich den Namen Osiris als wütenden Schrei?
Es war durchaus möglich, aber die Reaktion des Kreuzes war wichtiger. Auch die des Teufels Seth.
Er sah in das türkisfarbene Licht, in dem das Henkelkreuz erstrahlte. Es war die Kraft seines Bruders Osiris, die ihn zwang, sich zurückzuziehen.
Wieder schlug er wild um sich. Es sah auch so aus, als wollte er in die Höhe steigen, um irgendwohin zu verschwinden, aber seine Kraft war bereits schwächer geworden.
Etwas packte ihn mit einer ungeheuren Wucht. Wie von einer unsichtbaren Ramme getroffen, flog er zurück. Hinter ihm öffnete sich eine schreckliche Welt.
Ich sah ein tiefschwarzes Loch, das Seth mit unwiderstehlicher Gewalt in sich hineinzog. Und ich sah auch die Körper der Diener und Verehrer, die von dieser Kraft erwischt worden waren. Vor mir entstand ein apokalyptisches Bild, als die Körper vom Boden in die Höhe gerissen wurden. Sie kugelten durch das Nichts. Sie stießen zusammen, und wenn der Begriff stumme Schreie paßte, dann eben hier.
Körper taumelten durch die Luft. Schlugen sich gegenseitig, wurden zu Seth in die dunkle Hölle gezogen, wo sie eintraten und sehr schnell verdampften.
Das Ankh räumte auf. Osiris bewies, wie groß seine Kraft und seine Macht waren. Er jagte seinen höllischen Bruder zurück und trieb auch die Vergangenheit weg.
Es gab plötzlich keine Säulen mehr. Sie verschwanden im gleichen Rhythmus wie auch das Licht schwächer wurde. Wenig später waren sie nicht mehr da, und die normale Wirklichkeit hatte uns wieder.
Ich drehte mich auf der Stelle herum, weil ich nach Selima schauen wollte.
Sie schwebte nicht mehr in der Luft, sondern lag rücklings auf ihrem Bett.
Wieder schaute ich zur anderen Seite.
Es gab keinen Seth mehr, keinen Tempel und auch keinen Rauch. Nur noch die normale Tapete.
Der Fluch war gebrochen!
***
Daß Lady Sarah und Jane Collins nahe der Tür auf mich warteten und alles mitbekommen hatten, wußte ich. Im Augenblick interessierte ich mich nicht für ihre Reaktionen, sondern ausschließlich für Selima.
Starr lag sie auf dem Rücken. Nichts bewegte sich. Sie wirkte wie tot, was aber nicht stimmte, denn ich sah ihren Atem über die Lippen fließen.
Jane trat näher. Ihr Gesicht entspannte sich erst, als sie erkannte, daß Selima noch lebte.
»Sie muß Schreckliches durchlitten haben, John. Sie hat den eigenen Tod gesehen. Himmel, was…«
Ich strich über Selimas Wangen. Sie fühlten sich kalt an, fast wie die einer Toten.
Meine Berührung hatte bei ihr eine Reaktion ausgelöst. Plötzlich schrak sie zusammen. Da standen die Augen weit offen, aber wir sahen keinen goldenen Schimmer darin.
»Wo bin ich?« flüsterte sie. »Was ist mit mir geschehen?« Die Frage wiederholte sich noch in ihrem Blick, und ich wußte nicht, was ich ihr antworten sollte.
Jane kam mir zuvor. »Du bist in Sicherheit, Selima.«
Zuvor hatte sie mich wie einen Fremden angeschaut. Jetzt richtete sie ihren Blick ebenso auf Jane. Und sie sah auch, daß sich Lady Sarah dem Bett näherte.
»Ich kann mich nicht erinnern. Alles ist gelöscht. Ich fühle mich leer. Wie nie…«
»Das wissen wir«, sagte ich. »Und ich glaube, es ist besser, wenn du dich ausruhst.«
»Ausruhen?« Ihre Stimme hatte einen anderen Klang
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