Das Götter-Opfer
Unterbewußtsein. In Wirklichkeit überkam sie eine andere Ahnung. Jane hatte einfach das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Es verstärkte sich so weit, daß sie ihre Arbeit vergaß und sich auf dem Stuhl drehte, um zur Tür zu schauen, die sie nicht geschlossen hatte.
Da war nichts.
Keine Person zeichnete sich auf der Fläche ab, und auch von der Treppe her vernahm sie keine Schritte. Nur das Gefühl blieb. Jane war eine Frau, die darauf achtete und es nicht einfach locker umging. Deshalb rollte sie zurück, stand auf und ging zum Lichtschalter neben der Tür. Der Hintergrund des Dachgeschosses lag im Dunkeln, denn das Licht streifte nur sehr schwach die Regale.
Sie kippte zwei Schalter um.
Wie erschreckte Katzen, so schnell huschten die Schatten der Dunkelheit davon. Die Detektivin konnte von ihrem Standort aus den Raum überblicken und atmete leicht auf, als sie keine fremde Person entdeckte.
Wer hätte sich auch normal hineinschleichen können? Auf der anderen Seite mußte sie sich auch fragen, was in ihrem Leben schon normal ablief? Das wenigste.
Sie ließ das Licht im Hintergrund brennen, dimmte es allerdings herab, so daß eine gemütliche Atmosphäre hergestellt wurde. Auch ein Teil der Schatten kehrte zurück.
Aus dem Haus hörte sie auch keine Stimme. So nahm sie wieder an ihrem Schreibtisch Platz, um sich endlich um die Suche nach dem Ägypten Shop zu kümmern.
Auf dem Bildschirm war ein Inhaltsverzeichnis erschienen. Normale Namen, Geschäfte, Vergnügungsstätten, Anschriften von Museen und Krankenhäusern fand sie ebenso auf dieser CD-ROM wie eben die obskuren Läden. Einmal im Jahr wurde die CD- ROM auf den neuesten Stand gebracht, da tauschte Jane sie um.
Ihre Unruhe blieb. Sie wußte, daß die nächste Zukunft nicht mehr so normal ablaufen würde. Die Nacht lag noch vor ihnen. Die beiden Toten im Wagen auf der anderen Straßenseite. Die geheimnisvolle Person namens Fatima, von der John erzählt hatte, das alles waren Überlegungen, die noch hinter einem Vorhang verborgen lagen, sich ihr aber bald öffnen würden.
Sie schrak zusammen.
Eine weiche Stimme. »Jane…«
Die Angesprochene schloß für einen Moment die Augen, bevor sie zur Tür blickte.
Dort stand Selima. Sie schaute Jane Collins an. Auf ihrem Gesicht zeichnete sich ein unglücklicher Zug ab. »Habe ich dich erschreckt?«
»Ein wenig schon.«
»Sorry, das wollte ich nicht.«
»Okay, komm ruhig rein.«
»Danke.« Selima ging mit kleinen Schritten. Auf Jane wirkte sie wie ein Mensch, der etwas auf dem Herzen hatte, sich aber noch nicht traute, darüber zu sprechen. Möglicherweise hatte sie auch in Lady Sarah Goldwyn nicht die richtige Gesprächspartnerin gefunden und war deshalb zu Jane gekommen.
»Setz dich doch.«
»Danke, aber ich möchte lieber stehen.«
»Wie du willst.«
Selima schaute sich um wie jemand, der etwas suchte. »John ist ja noch draußen«, sagte sie.
»Klar, er wartet auf seinen Freund und die Kollegen vom Yard.«
»Ich hätte ja auch mit Lady Sarah sprechen können, doch dazu konnte ich mich nicht entschließen. Es ist alles so anders geworden. Nichts gegen sie, aber sie ist schon älter, ganz im Gegensatz zu dir. Da wollte ich bei dir sein, bis sich… nun ja…«
»Kein Problem, Selima. Du mußt mir nur sagen, wo dich der Schuh drückt.«
»Der Schuh? Ich denke, daß es schon beide Schuhe sind.«
»Es gibt also ein Problem?«
»Ja.«
»Raus damit!«
Selima ging zum Fenster, blieb dort stehen und schaute durch das schräge Glas in den dunklen Himmel. »Es klarzumachen ist gar nicht so einfach«, gab sie zu. »Kannst du dir vorstellen, daß ich mich wie eine Gefangene fühle?«
Jane hatte sich gedreht und wandte dem Bildschirm ihren Rücken zu.
»Nein, im Prinzip nicht. Aber wenn du das sagst, wird das schon stimmen.«
»Ich bin nicht allein, auch wenn es so aussieht.« Eine schnelle Drehung, und sie schaute Jane wieder an. »Ja, du brauchst nicht zu lachen, aber so ist es.«
»Ich lache dich nicht aus. Ich kann es gut nachfühlen.«
»Wieso?«
»Weil ich vorhin ebenfalls das Gefühl hatte.«
»Ach.« Selimas Augen weiteten sich. »Stimmt das wirklich, Jane?«
»Ich lüge dich nicht an. Etwas war hier. Ich habe es nicht gesehen, aber trotzdem…«
»Und du kannst es nicht erklären?«
»So ist es.«
»Seit wann hast du es gespürt?«
»Ich war hier oben.«
Selima nickte. »So erging es mir auch. Vor ein paar Minuten überkam mich das Gefühl. Es war nicht sichtbar, aber es war
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