Das göttliche Dutzend
Passagiere!«
»Werft die Maschinen an!«
Nörglpytter nahm die Pfeife aus dem Mund, stieß auf so lästige Weise wie nur eben möglich das Mundstück an einen seiner hundert verschieden großen Zähne und fragte: »Warum denn?«
Eysenhart schnaubte. »Weil ich eure Fähren beschlagnahme«, kam seine herrisch-höhnische Antwort.
»Was?« stieß Nörglpytter hervor. Er sprang nun endlich auf die Hufe. »Sie können doch nicht …«
»Ich kann«, grinste Eysenhart mit einer Boshaftigkeit, die ihresgleichen suchte. »Ich hab Befehle. Von Byrernst.«
Nörglpytter schwenkte gelangweilt eine Klaue. »Ha! Also Byrernst steckt dahinter. Tja, dann möchte ich Ihnen sagen, daß die Jungs und ich hier ’n Geschäft betreiben – falls es Ihnen noch nicht aufgefallen ist. Wieso glaubt er, wir würden was für ihn tun, wenn er nicht dafür blecht, häh?«
Eysenhart beugte sich zu Nörglpytter hinüber und stierte ihn drohend an. »Haben Sie irgendeine Vorstellung davon, wo die Passagiere hinfahren?« knurrte er.
»Nee, aber ich hab das komische Gefühl, daß Sie’s mir gleich erzählen werden«, erwiderte Nörglpytter grinsend durch eine Wolke kampflustig versprühten Qualms hindurch. Die Sache fing ja gut an. Als rechtmäßig gewählter Vertreter der Koalition renitenter Unterwelt-Fährschiffer war er berechtigt, die Widerspenstigkeit bis zum Äußersten zu treiben und es als Kampfhonorar plus Spesen zu berechnen.
Der Knochenbrecher-Chef schnaubte abfällig. »Sie fahren nach Miefingen«, knurrte er wichtigtuerisch.
»Was sollen sie denn da? Betriebsausflug der Einwanderungsbehörde? Da gibt’s doch nichts zu sehen – außer alten, abgewrackten Gruben und …«
»Falsch. Sie sind wieder in Betrieb.« Irgend etwas in Eysenharts Blick wirkte wie ein böses Omen. »Und es ist eine Fahrt ohne Wiederkehr«, fügte er in einer verstörend freudigen Tonart hinzu.
Über Nörglpytters faltiges Gesicht breitete sich entsetztes Verstehen aus. »Sie meinen, sie werden in den Gru …«
Eysenhart schnaubte und nickte langsam. »Ich nehme an, es wäre nicht einfach für Sie, den Fährbetrieb aufrechtzuerhalten, wenn Sie dort arbeiten müßten. Oder?«
Nörglpytter nickte zögernd und winkte seinen Kollegen eine ziemlich komplizierte Serie von Klauensignalen zu. Gequengel war das Salz in der Berufssuppe, doch leicht durchsetzbare Drohungen aus dem Maul des Anführers der Knochenbrecher waren etwas anderes. Sie erforderten das Einziehen der Hörner und augenblickliches Handeln.
Minuten später rülpsten schmutzig-schwarze Rauchwolken felsenfirmamentwärts, und die Fähren husteten chthonischen Rotz aus ihren verstopften Lungen.
Als die infernalischen Verbrennungsmotoren gerade angeworfen wurden, schritt eine hochgewachsene Gestalt in wehender Soutane aus einer schmalen Seitengasse, hielt schlagartig an und legte spontan den Rückwärtsgang ein. Ölyg knallte gegen Zorns Rücken und stolperte über seine Soutane.
»Ah, warum haben Sie das getan?« winselte er und rappelte sich auf. »Sie hätten mir doch sagen können, daß sie plötzlich anhalten wollen …«
»Still!« bellte Zorn heiser, bückte sich und blickte zum Flußufer hinunter. Seine Nüstern bebten, als er angestrengt wie ein Vampir vor dem Wind einer Vestalin an einem mondbeschienenen Abend in die Luft schnüffelte. In der Finsternis der Gasse funkelten seine Zähne durch grinsende Lippen, denn er spürte das riesige Konvertitenpotential der zusammengetriebenen Dämonen.
Eins wußte er genau: Zu ihnen mußte er hin. Wohin sie auch gingen – er würde ebenfalls dort sein. Er richtete sich auf, schaute sich rasch um, berechnete eine perfekte Reihe beginnender Schatten zwischen Gasse und Ziel und fegte ohne Warnung ins Freie.
»He!« quäkte Ölyg und wetzte hinterher. Dann erblickte er die versammelte Meute der Knochenbrecher-Dämonen, geriet in Panik und eilte ins Dunkel der Gasse zurück. »Kommen Sie zurück«, keuchte er in theatralischem Entsetzen. »Sie können da nicht hingehen. Es ist gefährlich!«
Nur von dem hilflosen Ölyg beobachtet, schlenderte Mitprediger Gottfried Zorn am Ufer entlang, verbarg sich hier und da an dunklen Stellen und wurde von dem überwältigenden Verlangen angetrieben, die Frohe Botschaft unter den geknechteten Dämonen zu verbreiten. Ausgedehnte Erfahrungen hatten ihm eins gezeigt: Je geknechteter das Publikum schien, desto verzweifelter war es bereit, an etwas Besseres zu glauben. Und wenn er sich diese Bande anschaute …
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