Das göttliche Dutzend
Beachtung. Alle wirbelten auf den Hufen herum und konzentrierten den Blick auf die mit der Soutane bekleidete Gestalt auf dem Felsklotz. Hinter ihr schien ein purpurnes Leuchten zu pulsieren und größer zu werden.
»In diesen Zeiten der Veränderung brauchen wir alle ein wenig Bequemlichkeit«, rief Zorn. »Ein Stäubchen der Freude in der ausgedörrten Wildnis des wüsten Jammertals. Meint ihr nicht auch?«
Einige Köpfe nickten vorsichtig oder nervös – denn die Knochenbrecher schauten wachsam zu.
»Ist Leid nicht etwas, das anderen passieren müßte?« fragte Zorn. »Ist Schmerz und Qual ein Luxus, den sich nur jene leisten können, die ihn wirklich verdienen? Warum solltet ihr den Schmerz an euren weichen Klauen erleiden müssen?«
Als Zorn in einem Anfall trommelnden Glaubens gerade die Augen schloß, schwebten die Pusteblumen aus reiner purpurner Frömmigkeit über seine Schulter. Sie flogen leise ins natürliche Amphitheater des Grubeneingangs. Er bereitete sich auf den letzten evangelistischen Schlag erweckender Fragen vor, um das Bedürfnis zum Höhepunkt zu führen, damit seine Zuhörerschaft, wenn sie mit dem Rücken zur Wand stand, begriff, daß es, wenn es scheinbar keinen Ausweg mehr gab, wenn es keinen Ort gab, an den sie fliehen konnte, doch noch eine Lösung gab. Er würde sie ihnen anbieten! Den einzig wahren Weg … Fileda-Grubenhandschuhe!
»Warum sollte die perfekte Maniküre von den Unbilden der täglichen Plackerei demoliert werden? Kann man splitterfreien Krallenlack benutzen und trotzdem in den Gruben arbeiten?«
Plötzlich und unerwartet prallte die Pusteblume aus reiner Frömmigkeit gegen einen ungünstig positionierten Findling. So zerbrechlich sie war und so rammelvoll mit Kilopsalmen an Gebetswellen, war es dennoch überraschend, wie groß der blendende Lichtblitz ausfiel, der aus ihr hervorschoß. Die gesamte Umgebung wurde in einem retinaversengenden Blitz geradezu hymmlischer Proportionen gebadet, als hätte jemand versehentlich die Hanfzündschnur einer kleinen Supernova angesteckt und vergessen, den anderen davon zu erzählen.
Winzige Glaubenskrapfen bildeten sich in dem sengenden Frömmigkeitsfeuerball und stürzten in einem spontanen Heyligenscheinsturm vom Himmel. Und Sekunden später hatte der gesamte Dämonenpöbel das Licht gesehen, kaufte das T-Shirt und umarmte die letzten Worte des Fremdlings auf dem Felsen mit der Inbrunst eines geilen Terriers, der auf sein Lieblingsmenschenbein traf.
Ja, warum sollten sie ihre Krallen ruinieren? Warum sollten sie sich in den Gruben abrackern? Ja, warum?! Fragen über Fragen, die beantwortet werden mußten. Falsches mußte korrigiert werden! Und es gab nur einen Teufel in ganz Mortropolis, der all diese Fragen beantworten konnte.
Der Obertotengräber. Seine Hochnäsigkeit persönlich. Byrernst.
Doch bevor der Mietprediger Gottfried Zorn eine Chance erhielt, dem Pöbel die Freuden von Fileda-Handschuhen schmackhaft zu machen, war dieser schon ans Ufer geströmt, riß ihn von seinem Felsen und trug ihn der Schleimau entgegen – in dem Wissen, daß er ihm den Weg gewiesen hatte. Den einzigen Weg. Den Randale-Weg!
VERSUCHEN KOSTET NIX
Die ersten theatralischen Strahlen des Frühmorgenlichts krochen schlapp über den Horizont und trotteten dösend auf Axolotl zu. Ihnen stand ein äußerst rüdes Erwachen bevor.
»Was ist passiert?« schrie Bocus, der Hohepriester der Zunft der Hochzeitsfeierspeisen. Seine Augen waren aufgrund einer hochaktanischen Mischung aus nervöser Anspannung und extremem Schlafmangel rot umrandet. Es war ihm in der letzten Woche – seit der Verkündung von Luphans und Feronas anstehender Ehestandsverkündigung – gerade mal gelungen, drei Stunden lang die Augen zu schließen. Und man sah es ihm an. Seine Nerven waren kraus und durchgescheuert, und die Megatonnenwut seines legendären explosiven Temperaments spielte erregt mit einem empfindlichen Abzug. »Was ist mit dem Kuchen los?« wiederholte er kurz vor einem gewaltigen Ausbruch.
»Er ist h-h-hin«, stieß der Küchenlakai hervor.
Bocus richtete den Blick zum Hymmel und keuchte drohend: »Erkläre …«
Fyhlo, der Unterling, wischte sich schluckend die Hände an der Brust der weißen Küchentoga ab. Eine kleine Mehllawine stürzte bodenwärts. Fast sicher, daß heute sein letzter Tag in der Küche war, holte er Luft und fing an. »Es war nicht meine Schuld. Sie standen nebeneinander. Tja, sie stehen zwar immer nebeneinander, aber …
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