Das göttliche Dutzend
Verwirrung. Vollständige. Wer es auch gewesen war, der die Geheimakte geschrieben hatte, er hatte offenbar verhindern wollen, daß alle Welt sie las. Wenn die vielen Illustrationen und Diagramme nicht gewesen wären, hätte er wirklich keinen blassen Schimmer gehabt. Schlau wurde er trotzdem noch nicht daraus. Aber selbst wenn er schon soweit gewesen wäre, hätte er es vor Nabob freilich nicht zugegeben. Es sollte ja nicht zu einfach aussehen, uralte Geheimnisse zu enträtseln.
Es wäre schon besser, wenn ich es etwas leichter entschlüsseln könnte, dachte er, als ihm eine seltsame Folge von sechs Bildern einfiel, die er vor kurzem verwirrt betrachtet hatte. Das erste zeigte ein Strichmännchen mit Soutane und Bart, das ein kleines Loch in den Boden grub. Auf dem zweiten legte es ein kleines, kreuzförmiges Objekt in die Grube und deckte es zu. Das dritte Bild zeigte einen eigentümlich vertraut wirkenden Dämon, der hektisch umherlief, Obszönitäten schrie und drohend seinen Dreizack emporreckte. Viertens: die Großaufnahme eines Hufs, der in frisch umgegrabene Erde trat. Fünftens: eine Explosion aus Wolken und Licht sowie ein oder zwei Engel. Und das letzte, verwirrendste Bild, zeigte den Dämon, der mit gefalteten Klauen kniete. Sein Gesicht war eine abscheuliche Grimasse ekstatischer Glückseligkeit und deutlicher Bekehrung.
Für Schoysal war es so gut wie bedeutungslos. Ihm war zwar klar, daß irgend etwas mit dem Dämon geschehen war, aber was genau?
Nabobs Meckern riß ihn mit einem Ruck aus seinen Grübeleien in die Gegenwart zurück. »Verdammter Verfluchsverkehr. Ich hasse ihn! Mußtest du auch so lange im ›Gomorrha‹ bleiben?«
»Ja«, knurrte Schoysal selbstbewußt. »Klar mußte ich. Ich hatte es mir verdient.«
»Verdient?« stieß Nabob hervor. »Du?«
»Nachdem ich solange zugesehen hatte, was aus dem Haus rauskommt, dachte ich, ich muß mir auch mal das Innenleben genau ansehen.«
»Aber du hast fünf Lava-Martinis getrunken!«
»Ach, wer zählt da schon mit?«
»Ich!« protestierte Nabob. »Ich mußte sie schließlich bezahlen.«
»Nur gut, daß ich nicht auch noch einen Imbiß wollte, was?«
Nabob gab ein kehliges Knurren von sich, drehte sich nach vorn und bemerkte, daß sie seit einigen Minuten überhaupt nicht vorangekommen waren. Da er verzweifelt aus dem Getümmel und in seine Höhle zurück wollte, damit Schoysal sich in Ruhe mit der Geheimakte beschäftigen konnte, fauchte er ärgerlich, hackte auf die Menge ein und pflügte sich einen Weg um die Ecke.
Dort sah er den Verursacher des quälenden Staus.
Zorn, immer noch auf dem Dach der Hütte gegenüber der Grube der glühenden Kohlen, war im vollen apostolischen Schwung. Er wußte, daß er die große Mehrheit der Zuhörer schon zu den Freuden der Bierverehrung bekehrt hatte. Offen gesagt war dies nicht mal besonders schwierig gewesen, da sich die meisten an diesen Genuß noch aus ihrem letzten Leben erinnerten. Sie teilten hastig schäumende Partybecher aus Nimmerbrenn-Pergament an alle aus, die sich zum Glauben an Syffel bekannten. Und im hinteren Bereich der Menge schlug Ölyg sich mit einem Dilemma herum. Genau die Hälfte seines Körpers wollte sich in die Menge stürzen, sich nach vorn durchkämpfen und jedes einzelne Wort des frisch eingetroffenen Predigers für bare Münze nehmen. Die andere Hälfte war steif und fest davon überzeugt, daß es eine Falle war. Er schwankte in der Finsternis: einen Schritt vorwärts, einen zurück. Wie ein verzweifelter Sechsjähriger mit voller Blase, dem das Wort ›Pissoir‹ zu peinlich ist.
Keuchend und sich immer wieder unruhig nach Angehörigen der Knochenbrecher umsehend, schlürften auch die Dämonen aus der Grube der glühenden Kohlen Bier aus roten Bechern mit aufgedruckten Ballons. Das Gespräch, das kurz vorher zwischen den beiden stattgefunden hatte, hatte etwa folgenden Wortlaut gehabt:
»Was hat er gesagt? Glaubt an Syffel, dann sind die Getränke gratis?« fragte Dämon eins.
»Jo, ich glaub schon«, grunzte Dämon zwei.
»Aber ist es keine Blasphemie? Du weißt schon, hier unten von Göttern und Religion und so reden?«
»Jo, ich glaub schon«, überlegte Dämon zwei.
»Aber sagt man hier unten nicht immer ›Ich glaub’s, wenn ich es sehe?‹« fragte Dämon eins.
»Jo, ich glaub schon«, grunzte Dämon zwei.
»Also, ich seh da oben ’ne Menge Bier. Aber ich hab nicht gesehen, daß es irgend jemand hereingebracht hat. Und wenn sich die Dinge hier unten
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