Das göttliche Dutzend
Verstehens. Momentaufnahmen der Predigt auf dem Hüttendach erschienen vor seinem inneren Auge: die Wirkung, die Zorn auf die gequälten Seelen gehabt hatte, als er von Syffel sprach; die gebannten, fröhlich schickernden Teufel … ein Vertrag?
Und dann wurde ihm schlagartig alles klar. Aber es war so unfaßbar, so abwegig. Obwohl er es mit eigenen Augen gesehen hatte. Er schüttelte den Kopf. Er hatte natürlich von der Mission der Heiligen Laudatia gehört, denn ihr Motto ›Jederzeit, an jedem Ort, jederlei Botschaft!‹ war bei den predigtorientierteren Orden geradezu berüchtigt. Einst, nach vierzig Jahren als Priester der nicht vorhandenen Gemeinde Absentius des Ordentlich Abgeschriebenen war er sogar versucht gewesen, zu ihnen überzuwechseln, aber … Na ja, es wäre einfach nicht richtig gewesen, die Kapelle völlig aufzugeben. Außerdem waren seine Predigerkünste ganz schön eingerostet. Aber das Geld, das die Maschinengewehre Gottes verdienten, wirkte trotz allem verführerisch.
Verführerisch genug, um sich zu verpflichten, die Frohe Botschaft hier unten zu verbreiten?
Ölyg zitterte, als ihm die fast schon perverse Logik der ganzen Sache klar wurde. Er konnte nicht abstreiten, daß es hier unten ein ordentliches Potential gab. Für einen wirklich talentierten Prediger konnte es sogar eine wahre Goldgrube sein. Die Verdammten retten. Ihnen zu einem Leben nach dem Leben nach dem Tod verhelfen.
Und dann wurde ihm noch etwas klar: Wenn sich Zorn wirklich hier aufhielt, um Seelen zu retten, war dies seine Chance. Ein Ausweg für ihn.
Ölyg bebte, als er es in Gedanken durchspielte. Es stimmte. Es mußte einfach stimmen. In diesem Augenblick ließ sein Verstand abstimmen, Neuronen zuckten zustimmend, und der Antrag wurde angenommen. Er mußte Zorn einfach finden und retten!
Es gab nur zwei (wenn auch heftige) Wolken in diesem Silberstreif.
Wo war Zorn in diesem Augenblick? Und warum hatten zwei beunruhigend vertraut wirkende Dämonen ihn aus dem Gefängnis von Mortropolis entführt?
Irgendwie machte ihm die zweite Wolke die meisten Sorgen.
Wenn das boshafte, ränkeschmiedende Ungeheuer, das ihn damals hereingelegt hatte, einer der beiden war, die Zorn aus dem Gefängnis geholt hatten, konnte es nichts Gutes bedeuten.
Was wollte ein Teufel in Höllien bloß mit einem Mietprediger anfangen?
Es verhieß ganz bestimmt nichts Gutes.
Schoysals Stimme hallte von den Wänden in Nabobs Privathöhle wider. »Was soll das heißen, Sie haben noch nie von Gebetsminen gehört?« fauchte er die Gottheit im Kürbisschlafanzug an. Er musterte Klabautha bedeutungsschwer und richtete die Lavalampe auf seine Augen. Er verhörte ihn erst seit zwei Minuten und hatte schon keine Geduld mehr mit ihm.
»Sie brauchen es gar nicht abzustreiten. Die Dinger sind kein Geheimnis, wir wissen darüber Bescheid«, bluffte Schoysal. »Es nützt Ihnen nichts, es für sich zu behalten. Sie machen alles nur noch schlimmer!«
»Ich garantiere Ihnen«, insistierte der Gott mit dem Dreispitz, »ich weiß überhaupt nichts über Gebets …«
»Lügner!« fuhr Schoysal ihn an und schlug mit geballter Klaue auf die Obsidiantischplatte. »Die Beweise sprechen eindeutig gegen Sie. Schauen Sie!« Er hielt Klabautha den Gebetsminendetektor Marke Eigenbau vor die Nase. Die beiden Löffelstiele zeigten unzweifelhaft anschuldigend auf ihn. »Sie haben damit gearbeitet, nicht wahr? Wohin werden sie verlagert?«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie …«
»Schön! Streiten Sie es ruhig ab. Aber Sie werden es bereuen, wenn ich das Lager erst gefunden habe. Ich schwöre Ihnen, es wird Ihnen leid tun!«
Schoysal stürmte zur Tür hinaus und zerrte Nabob mit einem knappen »Komm mit! Sie können nicht weit von hier entfernt sein, wir werden sie finden, auch ohne seine Hilfe!« hinter sich her.
Der noch immer an den Stuhl gefesselte Zorn zuckte versuchsweise elendig die Achseln. Es gelang ihm nicht.
Als der Schattenzeiger der axolotischen Sonnenuhr im Heydenpark langsam auf 31 Grad nach Sonnenaufgang vorrückte, öffnete sich die Tür einer winzigen Hütte am Stadtrand. Der Mann, der herauskam, rieb sich über die Augen und gähnte lange. Die Sonne, von seinem Anblick völlig unterwältigt, wälzte sich weiter über das makellos blaue Himmelszelt. Wie immer.
Der Mann im Türrahmen reckte sich knochenknackend, schlurfte die dreistufige Treppe der Veranda hinab und blickte auf die Hügelfelder aus goldener Gerste. Windböen wirbelten durch
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