Das göttliche Dutzend
das Ährenmeer und rauschten zufrieden säuselnd. Es war eigentlich wie an jedem Morgen. Der Bauer Seppli reckte sich jeden Tag, schlurfte am Feld entlang und suchte nach Anzeichen dafür, daß die Gerste erntereif war. Aber von heute versprach er sich mehr. Es gab gute Omen. Das behauptete jedenfalls Spiegleyn Spiegleyn.
Aber so gut die für Spiegleyn Spiegleyn arbeitenden Hellseher auch waren, in den Jahren seiner praktischen Erfahrung hatte Seppli gelernt, daß es diese und jene Omen gab. Es war zwar recht und billig, wenn Stadtpropheten aus Kristallkugeln und Teeblättern Vorhersagen für ländlich lebende Axoloten trafen, aber er wußte, daß es auch andere, ältere Prophezeiungsverfahren gab.
Sein Rücken beschwerte sich, als er sich bückte, um ein paar Getreidehalme vom Feldrand zu pflücken. Er schüttelte sie fünfmal, blies sie an und spuckte mit einem ungesunden Röcheln einen Schleimtropfen auf den Boden. Schließlich warf er die Getreidehalme in den morgendlichen Südwind. Und plötzlich fiel seine Kinnlade herunter, denn er sah es. Auf halbem Weg den Hügel runter gab es eine Stelle, an der die Halme plattgetreten waren. Es schien, als hätte irgendein hymmlischer Vandale einen steuerbaren Wirbelwind eingesetzt, auf daß er sich über der formbaren Oberfläche des Feldes austobe. Seppli erblickte Kreise, Dreiecke, merkwürdige geometrische Zeichen und sogar – überraschenderweise – das Abbild eines Igels.
Er schrie auf, tat einen Freudensprung und wetzte zur Hütte zurück. Es war da! Das Zeichen! Ein verzwicktes Zeichen, zugegeben, aber ohne Zweifel ein Zeichen. Jeder axolotische Bauer kannte es: Nur wenn Kreise und Gebilde im Getreide sichtbar wurden, war die Gerste reif.
Und nun war fast Erntezeit.
Das einzige, was nun noch zwischen ihm und dem ersten Sensenhieb stand, war der göttliche Grundsegen für eine gute Ernte. Doch diesmal kam er nicht von der üblichen Erntegottheit. O nein. Diese Gerste würde nicht in gewöhnlichen Kornmühlen landen und die übliche landwirtschaftliche Verarbeitung erleben. Nee, diese Gerste hatte er sofort mit Eselsohren versehen, als er von der anstehenden Vermählung Luphan Burks und Ferona Veldmuschs gehört hatte. Dies war die Gerste, aus der das besondere unfermentierte Bier entstand, das zu Schampong verarbeitet wurde, auf daß Braut und Bräutigam es sich an ihrem Ehrentag gemeinsam ins Haar schmieren konnten! Dies war ein gaaaanz besonderes Gerstenfeld. Die Kleingottheit Elli Vithal mußte es segnen, die für Haupt- und Schamhaarbewuchs zuständig war.
Seppli rieb sich die Hände. Wenn er den Segen erst mal hatte, konnte er zehnmal mehr verlangen als üblich. Es war die Chance, auf die er gewartet hatte. Wie toll, daß Luphan es angekündigt hatte.
Seppli wetzte aufgeregt um die Hütte, riß den Vorhang vom Oberteil eines kleinen Holzregals und zündete alle Kerzen, Räucherstäbchen und sonstigen Drogenbrenner an. Sekunden später stiegen aromatische Rauchwölkchen in den morgendlichen Himmel hinauf und starteten eine Invasion auf seine Nasenlöcher.
Leicht schwankend und aufgrund der kopflastigen Wirkung fünfzehn verschiedener narkotischer Kräuter auf seinen leeren Magen, kniete Seppli blinzelnd vor dem umgebauten Kaninchenstall und brabbelte die korrekten Sprüche und inständigen Bitten in die allgemeine Richtung, in der sich seiner Meinung nach das Hymmelreich befand.
Eine mit einem Haarnetz bekleidete Gestalt, die ein Gähnen unterdrückte, nahm einen Kanten Vollkornbrot von einem bullernden Feuer, warf es auf einen Teller und nieste, als ein Schwall kriecherischer Fürbitten durch das Fenster hereinfegte und in ihr linkes Nasenloch hinaufstürmte. Elli Vithal tat ihr Bestes, um das störende Kitzeln in ihrer Nase zu vergessen – und griff nach der Marmelade.
Nach etwa fünfzehn akuten Niesern und einem halben Dutzend krächzender Hustenanfälle wurde ihr klar, daß ihr Frühstück möglicherweise besser ausfiel, wenn sie einen Abstecher nach unten machte und einen Segen schwafelte, um die nervensägenden Sterblichen zufriedenzustellen. Dann konnte sie weitermachen und die ultimate Taubenstallfrisur erschaffen – einen Stil, der den altmodischen Bienenkorb in den sprichwörtlichen Orkus der Frisurkreationen verbannen würde.
Sie leckte ihre Finger ab, um alle Spuren der dicken Orangenmarmelade zu verwischen, schloß die Augen, hielt die Luft an und verschwand in einem blendenden Blitz, bei dem jeder Konkurrenzpyromade vor Neid grün
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