Das Gold der Maori - Das Gold der Maori
lediglich rechnen zu können. Alle anderen in der Schule vermittelten Kenntnisse waren eher hinderlich. Colin half denn auch lieber im Stall, bereitete die Pferde für den Verkauf vor, ritt sie an und fand nichts schöner, als seinen Vater bei dessen Fahrten über Land zu begleiten.
Nach wie vor gab es nur in wenigen Ansiedlungen Viehmärkte. Meist fuhr Ian von Farm zu Farm, wobei Kathleen den Verdacht hatte, dass er die größten und wichtigsten Stations mied. Leute wie die Wardens auf Kiward Station, die Barringtons oder Beasleys ließen sich nicht über den Tisch ziehen und betrachteten es zweifellos als unter ihrer Würde, einen Rosstäuscher wie Ian auch nur zu empfangen. Sie bezogen ihre Tiere entweder gleich aus England oder züchteten sie selbst. Ian machte hauptsächlich Geschäfte mit kleinen Farmern und schaffte es meist, die Leute auch nach schlechten Erfahrungen mit seinen Geschäftspraktiken immer wieder zu beschwichtigen. Dabei spielte der Whiskey natürlich eine große Rolle.
Ian trank jetzt oft schon tagsüber. Der dunkelhaarige junge Mann, in den Kathleen sich beinahe hätte verlieben können, glich immer mehr einem Ebenbild seines Vaters: behäbig, rotnasig und teiggesichtig, redegewandt, aber auch sehr schnell mit den Fäusten oder der Peitsche bei der Hand. Reich, wie erhofft, wurde er in Neuseeland ebenso wenig wie in Irland, aber die Coltranes hattenihr Auskommen. Kathleen wäre zufrieden gewesen, hätte Ian sie ein wenig freundlicher behandelt und Colin nicht derart offensichtlich allen anderen Kindern vorgezogen. Sean zeigte er immer deutlicher seine Ablehnung, und die kleine Heather beachtete er gar nicht. Die gerade neunjährige Heather fürchtete sich in den letzten Jahren vermehrt vor ihrem Vater, schließlich blieb ihr nicht verborgen, dass er ihren angebeteten Bruder Sean schikanierte und ihre Mutter schlug.
Außer Colin pflegte die gesamte Familie aufzuatmen, wenn Ian auf Verkaufsfahrt ging, und auch an jenem Frühlingstag im November war der Junge das einzige Familienmitglied, das schlecht gelaunt war. Ian war am Morgen zu einer mehrtägigen Tour aufgebrochen, hatte Colin aber zu Hause gelassen, damit er die Schule nicht verpasste. Colin misshandelte das Pferd, mit dem er im Paddock vor dem Haus arbeitete. Sean mistete nebenan den Stall aus und stritt sich jedes Mal mit seinem Bruder, wenn er mit der Schubkarre ins Freie kam. Seiner Ansicht nach behandelte Colin das junge Pferd zu hart, es konnte die geforderten Aufgaben noch nicht leisten. Kathleen war im Haus, Heather pflückte Blumen und gestaltete eben einen hübschen Strauß aus roten Rata- und gelben Kowhai-Blüten. Das Mädchen eiferte Claire nach – sie bestand darauf, eine Lady zu sein und ihr Haus entsprechend geschmackvoll zu schmücken.
Claires Maultier hätte die Kleine dann beinahe umgerannt. Die kastanienbraune Stute sprengte auf den unbefestigten Weg zwischen Kathleens Haus und dem Paddock, als werde sie von Furien gehetzt. Claire saß auf ihrem ungesattelten Rücken und lenkte sie behelfsmäßig mittels eines Strickhalfters. Spottey, das Eselchen, folgte ihr in nicht minder halsbrecherischem Tempo. Die kleine Stute trug Claires Tochter Chloé, jetzt schon eine fast ebenso sichere Reiterin wie ihre Mutter, aber gewöhnlich manierlich im Stock- oder Damensattel sitzend. Heute hielt sich allerdings auch Chloé nur mühsam auf Spotteys knochigem Rücken. Wenn Mutter und Tochter die gesamten drei Meilen in diesem Tempo geritten waren, musste das Mädchen wund sein.
Claire und Chloé ließen sich von ihren Reittieren fallen, sobald diese innehielten. Die Kleine machte Anstalten, die Stuten anzubinden, aber Claire schien unfähig zu irgendwelchen vernünftigen Handlungen und Überlegungen.
»Kathleen!«, rief sie.
Als Kathleen verwundert aus dem Haus trat, warf Claire sich schluchzend in ihre Arme. »Kathie, Kathie, ich … wir … unser Haus … Matt …«
Kathleen fing ihre Freundin auf und drückte sie tröstend an sich. Ihre Gedanken arbeiteten wie rasend alle möglichen Katastrophen durch. Ob es gebrannt hatte? War Matt womöglich in den Flammen umgekommen?
»Ein … ein Feuer, Claire?«, fragte sie vorsichtig.
Claire schüttelte den Kopf, brachte aber kein Wort heraus.
»Es sind Leute gekommen«, berichtete stattdessen Chloé, »ein Mann und eine Frau und zwei Jungs. Mit einem großen Wagen und Möbeln. Und sie haben … sie haben uns hinausgeworfen!«
Chloé klang eher verblüfft und ungläubig als
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