Das Gold der Maori - Das Gold der Maori
wahrscheinlich auch drauf an, wie schnell sie’s vollhaben«, mutmaßte der andere. »Wenn der Knast aus den Nähten platzt, segeln sie – ist denen doch egal, ob der Kahn untergeht!«
Letzteres hielt Michael für unwahrscheinlich. Die Sträflinge mochten der Englischen Krone gleichgültig sein, aber so ein Schiff war wertvoll und seine Besatzung bestand aus Engländern, wahrscheinlich erfahrenen Seeleuten. Die würden sich nicht auf einem Seelenverkäufer verdingen. Michael hatte nie von einem Gefangenenschiff gehört, das gesunken war.
Die Hälfte der Häftlinge in Wicklow Gaol verbüßte kürzereHaftstrafen und wurde zu Arbeiten herangezogen. Meist einfache und eher langweilige Tätigkeiten wie das Erstellen von Zündhölzern. Die andere Hälfte wartete auf ihre Verschiffung – und es waren meist die härteren Jungen und schwereren Verbrecher, die man nach Australien abschob. Natürlich bestand auch hier der größte Teil aus Dieben, die oft pure Not zu ihren Taten getrieben hatten. Aber es waren auch Schläger und Mörder unter ihnen, die ständig Streit suchten. Die Langeweile tat ihr Übriges, es gab Schikanen, Schmähungen und Schlägereien.
Und es gab drakonische Strafen, wenn jemand erwischt wurde. Michael, der als Unruhestifter galt, da er weder bereit war, die Wachen mit Ehrfurcht zu behandeln, noch sich von anderen Häftlingen herumstoßen zu lassen, machte sehr bald damit Bekanntschaft.
Die Wachmannschaft des Wicklow Gaol wäre ihn lieber heute als morgen losgeworden.
Inzwischen waren die ersten Monate des Jahres 1847 vergangen. Anfang März wurden Michael und die anderen Häftlinge, deren Deportation in diesem Frühjahr geplant war, zum Gefängnisarzt befohlen. Ein deutliches Zeichen dafür, dass es bald losging – man stellte den ersten Transport zusammen. Es wurden nur gesunde und halbwegs belastbare Männer verschickt. Die Reisebedingungen waren schließlich kein Zuckerschlecken, und England wollte sich nicht vorwerfen lassen, den Tod der Häftlinge in Kauf zu nehmen. Mit Verlusten war allerdings immer zu rechnen. Die drangvolle Enge auf den Schiffen, die mangelhafte Ernährung und Versorgung mit Süßwasser begünstigten Seuchen, Entzündungen und Fieberkrankheiten.
Dr. Skinnings, ein hochgewachsener Engländer, der mit seinem roten Haar und seinen Sommersprossen auch als Ire durchgegangen wäre, betrachtete denn auch besorgt die blutigen Striemen auf Michaels Rücken.
»Das muss aber noch abheilen, bevor wir Sie auf See schicken können«, bemerkte er. »Offene Wunden entzünden sich da schnell.«
Michael lachte bitter. »Dann sagen Sie mal Ihren Freunden vom Wachdienst, sie sollten mich ein paar Tage mit ihren Aufmerksamkeiten verschonen! Ich bin nicht schuld an den offenen Wunden, das dürfen Sie mir glauben.«
Während der Arzt ihn untersuchte, seine Lungen und sein Herz abhorchte, ließ Michael wache Blicke über das Krankenrevier schweifen. Er dachte seit Wochen an Flucht – eigentlich seit er den Kerker verlassen hatte. Aber Wicklow Gaol erwies sich als modernes und sicheres Gefängnis. Die Mauern waren hoch und dick, die Wärter aufmerksam. Bislang hatte sich keine Möglichkeit gefunden, herauszukommen.
Die Häftlinge, die zum Teil seit Jahren in Wicklow einsaßen, bestätigten Michael diese Ahnung. Seit dem Neubau des Gefängnisses zehn Jahre zuvor war noch nie jemand geflohen. Aber vielleicht boten die Räume des Arztes ja eine Möglichkeit! Michael war nicht so leicht bereit, aufzugeben. Sehr gut sah es allerdings auch hier nicht aus. Wenn er den Grundriss des Hauses richtig einschätzte, lag das Krankenrevier nicht an einer Außenmauer. Selbst wenn er durch ein Fenster hätte fliehen können, hätte er sich nur im Hof des Gefängnisses wiedergefunden. Zudem waren die Fenster in den Arbeitsräumen des Arztes genauso vergittert wie die im Häftlingstrakt.
Etwas allerdings war Michael aufgefallen und hatte seine Begehrlichkeit geweckt. Auf dem Schreibtisch des Arztes lagen Feder und Papier – und zudem gab es einen Schreibblock und einen Bleistift auf dem Medikamentenschrank neben der Waage. Wahrscheinlich notierte der Arzt sich hier, was er dem Schrank entnommen hatte oder auch mal das Gewicht eines Häftlings. Für die Deportierten gab es dafür allerdings Formblätter.
Dr. Skinnings trug gerade säuberlich Michaels Daten ein. Der junge Mann ergriff seine Chance. Rasch ließ er den Bleistift und zwei Blätter Papier in den Taschen seiner weiten
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