Das grobmaschige Netz - Roman
ausgewählt. Einen fast neuen roten Toyota mit getönten Fenstern und vorne und hinten leistungsstarken Lautsprechern.
Schon gegen acht war er unterwegs; es war ein dunkler, nebliger Morgen, der Nebel verzog sich zwar nach und nach, die feuchten grauen Wolken dagegen bewegten sich nicht. Als er zum Mittagessen bei einer Gaststätte in Moines anhielt, war die ganze Stadt weiterhin in schwere Nebelschwaden gehüllt, die sich von der Heide herzuwälzen schienen. Er sah ein, dass es einer von den Tagen war, an denen sich das Licht einfach nicht durchsetzen, wo es die Dunkelheit nicht besiegen kann.
Er verzehrte ein Fischgericht mit viel Zwiebeln und Wein, und er ließ seine Gedanken zum gestrigen Tag mit seinem
schwachen Ergebnis zurückwandern. Über acht Stunden lang hatte er das Personal der verschiedenen Perückenläden interviewt, ein trostloses und einsames Unterfangen, das er kraft seines Amtes auch einem anderen hätte überlassen können, das er aber trotzdem auf sich genommen hatte. Als er das hinter sich gebracht hatte und wieder hinter seinem Schreibtisch saß, konnte er zusammenfassend immerhin feststellen, dass keiner der elf Läden in der vergangenen Woche irgendein Haarteil vermietet, verkauft oder auf irgendeine Weise eingebüßt hatte, das Ähnlichkeit mit der Perücke hatte, mit der der Täter in den Majoren gesehen worden war.
Das hatte er allerdings auch nicht erwartet. Warum sollte eine dermaßen intelligente und kaltblütige Person, mit der sie es ja offenbar zu tun hatten, sich so fahrlässig verhalten? Aber die Sache hatte nun einmal überprüft werden müssen, und das war jetzt geschehen.
Auch die Befragung des Obduzenten und der Leute von der Spurensicherung hatte nicht weitergeholfen. Meusses Annahmen waren bis ins letzte Detail bestätigt worden, und auch die so genannte Staubsaugeranalyse war wenig ergiebig. Man hatte fast den Eindruck, dass es sich beim Tatort nicht um die Abteilung einer psychiatrischen Klinik, sondern um einen Operationssaal gehandelt hatte.
Abends hatte sich dann doch ein kleiner Lichtblick eingestellt, was aber nichts mit den Ermittlungen zu tun gehabt hatte. Er hatte gerade schlafen gehen wollen, als Renate anrief und mitteilte, es sei doch keine besonders gute Idee, ihre Beziehung wieder aufzunehmen. Es eile jedenfalls nicht so sehr. Alles braucht seine Zeit, hatte sie gesagt, und ausnahmsweise war er ganz und gar ihrer Meinung gewesen. Sie hatten ihr Gespräch in bestem Einvernehmen beendet, und sie hatte ihm sogar das Versprechen abgenommen, bei nächster Gelegenheit den verlorenen Sohn im Staatsgefängnis zu besuchen.
Nachmittags fuhr er weiter über die schmalen, kurvenreichen Heidestraßen und am Fluss entlang, während Dunkelheit und Nebel sich verdichteten. Dieser Fall, diese beiden Morde, hatten etwas, das ihn bedrückte und anwiderte. Ein Gefühl von Ekel und Ohnmacht überkam ihn, das vielleicht Ähnlichkeit mit dem hatte, was er früher einmal bei jeder neuen Gewalttat empfunden hatte, mit der er konfrontiert wurde ... als er noch ein junger enthusiastischer Kriminalbeamter war, der an das Gute glaubte. Doch er hatte sich verändert, der tägliche Umgang mit einer bestimmten Sorte von Taten hatte ihn ziemlich abgestumpft.
Hand in Hand mit diesen Ahnungen kam auch das Gefühl, mehr zu wissen, als er begriff. Das Gefühl, dass es einen Leitfaden gab, den er aufheben und genauer studieren könnte, irgendein Detail oder einen Zusammenhang, den er übersehen hatte und der sich, bei Licht besehen, als Schlüssel zum gesamten Rätsel erweisen würde.
Aber das war nur ein vages Gefühl, vielleicht nur eine falsche Hoffnung, weil er nichts anderes hatte; und wie auch immer, an diesem Nachmittag wurde es nicht konkreter. Es war und blieb ein Tappen im Dunkeln. Was zunahm, was in ihm anwuchs, war die Unruhe ... die Unruhe, weil alles zu lange dauerte, weil er sich wieder irren, weil das Böse sich als viel mächtiger erweisen könnte, als er es wahrhaben wollte.
Das Böse?
Das war kein Begriff, mit dem er gern konfrontiert werden wollte.
Die Frau, die die Tür öffnete, hatte einen üppigen roten Schopf und sah aus, als stehe die Niederkunft in den nächsten Minuten bevor.
»Van Veeteren«, sagte er. »Ich habe gestern angerufen. Sie sind Frau Berger?«
»Willkommen«, sie lächelte und fügte hinzu, als habe sie
seine Gedanken gelesen: »Machen Sie sich keine Sorgen, es dauert noch einen ganzen Monat. Aber ich sehe immer so aus, wenn ich schwanger
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