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Das größere Wunder: Roman

Das größere Wunder: Roman

Titel: Das größere Wunder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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getan?«
    »Reicht dir das mit dem Postboten nicht?«
    »Das war nicht böse.«
    »Was denn sonst?«
    »Das war richtig.«
    »Ist das dein Ernst?«
    »Mit so was macht man keine Witze. Falls du deswegen ein schlechtes Gewissen hast – vergiss es. Aber da war noch etwas anderes, ich sehe es doch. Erzähl es mir.«
    »Auf dein eigenes Risiko.«
    »Na klar. Los!«
    »Später«, sagte er. »Nicht hier.«
    Eingezwängt zwischen amerikanischen Touristen und römischen Journalisten, saßen sie bei Salvo, der ihnen gerade erst eine neue Flasche gebracht hatte. Zahlen durften sie nicht, er schlug ihnen spielerisch mit der Stoffserviette, die er immer auf der Schulter liegen hatte, über den Rücken und sagte, sie sollten verschwinden und schnell Babys machen gehen.
    »So habe ich ihn noch nie gesehen«, raunte Salvo Marie an der Tür zu.
    Jonas zog sie auf die Straße. »Nehmen wir ein Taxi oder laufen wir?«
    »Wieso übernachten wir eigentlich im Hotel, wenn du hier eine Wohnung hast?«
    Es dauerte einige Sekunden, bis er die Frage begriff. Sie wusste, was ihm diese Wohnung bedeutete, sie wusste, dass er immer allein dort gewesen war und dass er nicht im Traum daran gedacht hatte, jemals einen anderen Menschen in das einzulassen, was er sich dort geschaffen hatte und für das es keine passenden Worte gab.
    »Einverstanden«, sagte er.
    »Freut mich«, sagte sie.
    »Dorthin können wir zu Fuß. Oder wollen wir vorher unsere Sachen aus dem Hotel holen?«
    »Was brauchen wir davon schon?« fragte sie und drückte sich an ihn.
    Er wusste nicht, was ihn in diesem Moment mehr überraschte: Wie sehr es ihn freute, dass sie die Wohnung sehen wollte, oder wie sehr er sich plötzlich danach sehnte, sie ihr zu zeigen. Er lachte auf. Er war ein Esel. Ein glücksbesoffener Esel.
    »Hör auf zu lachen und erzähl mir lieber endlich, was du Böses getan hast.«
    »Hier? Jetzt?«
    Sie überquerten gerade die Tiberbrücke, die zur Engelsburg führt. Junge Skandinavier wankten grölend vorbei, Japaner schossen Fotos, die Illegalen hatten ihre gefälschten Markenhandtaschen vor sich auf ihren Decken ausgebreitet, bereit, diese jederzeit zusammenzuraffen und zu verschwinden.
    »Du hast recht«, sagte sie. »In der Wohnung.«
     
    Nichts hatte sich verändert. Es gab keinen Wasserschaden, das Handtuch im Badezimmer hing unberührt auf dem Halter, in der Korktafel im Vorzimmer steckte der Stadtplan von Rom, den er Tausende von Malen angestarrt hatte, immer überrascht, wie nah all diese Straßen und Plätze waren und wie einfach es wäre, einen guten Freund zu treffen, der um die Ecke in seinem Laden saß.
    Auf dem Küchentisch lag noch die Abschiedsnotiz, die er sich selbst hinterlassen hatte. Allerdings war er davon ausgegangen, sie erst in einigen Jahren wieder zu Gesicht zu bekommen.
    »Hallo Jonas, dein Jonas«, las Marie und nickte.
    »Was denkst du?«
    »Dass wir aus der Flasche trinken. Die Gläser sind staubig.«
    Sie unternahm einen ausgedehnten Rundgang. Bisweilen betrachtete sie einen Gegenstand einige Zeit, lächelte oder warf Jonas einen Blick zu, den er nicht immer deuten konnte. Es war aufwühlend, ihre Miene zu beobachten, hier, wo er in jenen insgesamt vier Jahren so vieles erlebt oder eben nicht erlebt, auf alle Fälle jedoch gedacht hatte, gedacht und wieder gedacht.
    Sie setzte sich mit Salvos Flasche an den schmalen Küchentisch mit dem altmodischen karierten Tischtuch und trank einen Schluck.
    »Also?«
    »Was also?«
    »Stehst du rum, oder setzt du dich zu mir und erzählst mir die böse Geschichte?«
    Er setzte sich und streckte den Arm aus.
    »Erst einen Schluck.«
    Während er trank, befielen ihn Zweifel, ob es wirklich klug war, es ihr zu erzählen. Selbst Tanaka war damals ein wenig irritiert gewesen, obwohl er wie üblich alle Schwierigkeiten aus der Welt geschafft hatte. Doch wenn sie war, wofür er sie hielt, würde sie ihm deswegen auch nicht davonlaufen.
    »Ich war in der Türkei unterwegs, in Anatolien, ich weiß nicht einmal genau wo. Sieben oder acht Jahre muss das jetzt hersein. An der einzigen Tankstelle weit und breit spricht mich ein ziemlich schmieriger Kerl an, ob ich Lust auf eine ganz neue Erfahrung hätte.«
    »Klingt nach Sex mit Kindern.«
    »Bei uns im Ort gab es so jemanden, aber der hat irgendwann Besuch von meinem Sportlehrer bekommen.«
    »Diesen Zach möchte ich so unbedingt kennenlernen. Ich glaube, den mag ich.«
    »Jedenfalls knöpft mir der Bursche fünfhundert Dollar ab und bringt mich

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