Das größere Wunder: Roman
stellte.
»Bitte nicht«, sagte Jonas.
»Hier ist ja für vier gedeckt!« rief Vera. »Wie heißt sie?«
»Anouk! Stell dir vor, sie heißt Anouk! Das ist doch sehr hübsch!«
»Ist sie ein Eskimo?«
Das Telefon läutete. Werner ging ins Haus und kam kurz darauf zurück.
»Zach. Für dich.«
Noch ehe Jonas den Hörer in die Hand nahm, wusste er, dass dieses Gespräch wichtig sein würde. Er räusperte sich und holte tief Luft.
»Ich weiß jetzt, wer es war«, sagte Zach.
Jonas schloss die Tür, nahm das Telefon und setzte sich an den Esstisch.
»Wer?«
»Du kennst ihn.«
»Etwa jemand, den ich mag?«
»Das halte ich für unwahrscheinlich.«
»Sag mir den Namen noch nicht. Ich fahre morgen nach Hause.«
»Das ist nicht nötig, er läuft nicht weg.«
»Trotzdem. Ich komme.«
»Du willst wirklich nicht wissen, wer es ist?«
»Nein, erst zu Hause. Ich nehme morgen den ersten Bus.«
»Hast du dich wegen der anderen Sache entschieden?«
»Welche andere Sache?«
»Der Arzt.«
»Der Anästhesist?«
»Ja.«
Er schloss wieder die Augen.
»Jonas, um diese Entscheidung kommst du nicht herum. Die kannst nur du treffen, so oder so.«
Neben dem Telefon fand er einen Kugelschreiber. Eine Weile kaute er darauf herum.
»Ich warte«, sagte Zach.
»Er hat es nicht absichtlich getan.«
»Aber er war betrunken. Wer nach einer Flasche Wein in einen OP geht, muss mit Konsequenzen rechnen. Der Alte sagt, es ist deine Entscheidung, also entscheide richtig.«
29
Endlich verhieß der Wetterbericht Besserung. Im ganzen Basislager rüsteten sich die Teams für den kommenden Morgen. Am Nachmittag hielt Hadan im Messezelt eine Lagebesprechung ab.
»Wir brechen morgen noch nicht auf«, verkündete er.
»Was soll das«, rief Tiago, »ist das ein blöder Witz? Natürlich gehen wir morgen los!«
»Das werden wir nicht tun, und dafür gibt es gute Gründe, die ich erläutern will. Im Übrigen wäre ich dir dankbar, wenn du nicht ständig meine Entscheidungen hinterfragen würdest. Ich bin deswegen der Expeditionsleiter, weil ich ein paar Dinge weiß, die du nicht weißt, und daher Situationen besser einschätzen kann als du, weswegen du dich auch in mein Team eingekauft hast.«
»Damals wusste ich aber noch nicht, was für ein Expeditionsleiter du bist.«
»Tiago, überleg dir gut, was du als Nächstes sagst.«
»Das würde ich dir auch raten«, sagte Marc, der sich zwischen die beiden gestellt hatte.
»Was geht das alles überhaupt diesen Typen an?« fragte Anne. »Was hat er bei uns zu reden?«
»Noch einmal«, sagte Hadan, »hier trage ich die Verantwortung und treffe alle wichtigen Entscheidungen, das ist meine Pflicht, und wenn ich nicht da bin, sind dafür meine Bergführer zuständig. Zu ihnen gehört erfreulicherweise nun auch Marc Boyron. Ihr zwei seid jetzt still und hört mir zu.
Wir werden morgen noch nicht gehen. Wie die Sache steht, wollen morgen Dutzende Teams durch den Eisbruch marschieren, und ich befürchte, dass es speziell an den Leitern zu Staus kommen wird. Letzte Woche habe ich selbst miterlebt, wie diese alte Ungarin eine geschlagene Stunde auf einer Leiter saß und sich weinend weigerte, weiterzugehen oder umzudrehen. Es werden sich ein paar nervige Szenen im Khumbu abspielen, und ich will meine Leute da nicht in der Nähe haben. Wir sparen uns einiges an Aufregung, legen einen weiteren Rasttag ein und brechen übermorgen früh auf. Das Ziel ist Lager 2, wo wir übernachten werden. Alles Weitere wird in vierundzwanzig Stunden besprochen.«
Am Abend waren Marc und Jonas bei den Argentiniern eingeladen. Unterwegs zu ihrem Camp holte Hadan die beiden ein.
»Du fühlst dich nicht ganz wohl in deiner Haut, wie?« fragte Marc. »Ist nicht zu übersehen. Aber du tust das Richtige.«
»Wahrscheinlich bin ich übervorsichtig. Aber irgendwie läuft diesmal zu viel schief. All diese Zwischenfälle, all diese Auseinandersetzungen, auch mit den Expeditionsleitern der anderen Teams, die nicht verstehen wollen, dass man sich absprechen muss. Lauter Neulinge! Ständig ist jemand krank, ständig fehlt etwas, ständig gibt es Beschwerden, und zweimal am Tag telefoniere ich mit dem Krankenhaus in Kathmandu, ob mir nicht ein Kunde gestorben ist.«
»Der Arzt, der ihn jetzt betreut, ist der beste hier, und aus Innsbruck ist ein Kardiologe unterwegs. Mehr kannst du nicht tun.«
»Trotzdem. Ich habe kein gutes Gefühl.«
Sie gingen in unterschiedliche Richtungen weiter.
Die Argentinier setzten
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