Das große Doppelspiel
als Vorwurf.« Sie reichte ihm eine Tasse.
»Meine Schwester und ich standen uns nie sehr nahe.«
»Ist das nicht ungewöhnlich bei Zwillingen?«
»Sie ist nach Frankreich gegangen und hat dort
gelebt, seit unsere Mutter 1935 gestorben ist. Es ist also ganz
einfach. Und nun versuche ich es noch einmal: Für wen arbeiten
Sie?«
»Für das OSS, das Office of
Strategic Services«, sagte er. »Es ist eine Organisation
mit ganz speziellen Aufgaben.«
Ihr fiel etwas Sonderbares an seiner Uniform auf. Auf
dem rechten Ärmel war ein Flügelpaar mit den Buchstaben SF
– die, wie sie später erfuhr, für Special Forces
standen –, aber darunter war auch das Flügelpaar der
britischen Fallschirmjä ger zu sehen.
»Sonderkommandos?«
»Nicht wirklich. Unsere Leute ziehen es die meiste Zeit vor, keine Uniform zu tragen.«
Sie sagte: »Wollen Sie mir sagen, daß meine Schwester an solchen Sachen beteiligt war?«
Er holte eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche und
bot ihr eine an. Sie schüttelte den Kopf. »Ich rauche
nicht.«
»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich es tue?«
»Warum sollte ich.«
Er zündete sich eine Zigarette an und ging zum
Fenster. »Ich habe Ihre Schwester Anfang 1940 kennengelernt. Ich
arbeitete damals für die amerikanische Illustrierte Life. Sie
war überall dabei, wo gesellschaftlich etwas los war, sie spielte
eine gewis se Rolle in der Society, aber das wissen Sie
sicher.«
»Ja.«
Er blickte in den Garten hinaus. »Ich machte ein
Feature über die Voincourts, das dann aus irgendwelchen
Gründen nie erschien, aber es bedeutete, daß ich die
Gräfin interviewen mußte …«
»Hortense?«
Er drehte sich um, und sie sah, daß sein Mund zu
einem halb ironischen, halb wehmütigen Lächeln verzogen war.
»Eine interessante Frau«, sagte er. »Als ich mit ihr
sprach, hatte sie gerade ihren vierten Mann verloren. Ein Oberst der
Infanterie, er war an der Front gefallen.«
»Und meine Schwester?«
»Oh, wir wurden«, Craig hielt kurz inne,
»gute Freunde.« Er kehrte zum Kamin zurück und setzte
sich wieder. »Und dann nahmen die Deutschen Paris ein. Da ich
Bürger eines neutralen Landes war, behelligten sie mich
zunächst nicht, aber dann hatte ich mit Leuten zu tun, die ihnen
absolut nicht paßten, und mußte einen ziemlich schnellen
Abgang machen. Ich fuhr nach England.«
»Und da traten Sie in dieses OSS ein?«
»Nein, Amerika war damals noch nicht mit
Deutschland im Krieg. Ich arbeitete zuerst für eine britische
Dienststelle – die Special Operations Executive, die SOE. Die
gleiche Art von Arbeit, kann man sagen. Ich ließ mich erst
später zu meinen eigenen Leuten versetzen.«
»Und wie ist meine Schwester da hineingeraten?«
»Das deutsche Oberkommando requirierte das
Schloß Ihrer Tante. Generäle und andere hohe Tiere stiegen
dort ab, um sich ein paar Tage auszuruhen und dann und wann eine
Bespre chung abzuhalten.«
»Und Anne-Marie und meine Tante?«
»Sie durften so lange wohnen bleiben, wie sie
sich gast freundlich verhielten. Es war aus Propagandazwecken gut,
die Gräfin Voincourt und ihre Nichte als Gastgeberinnen
vorwei sen zu können.«
Geneviève wurde zornig. »Und das soll ich
Ihnen glauben? Daß Hortense de Voincourt sich auf diese Weise
benutzen ließ?«
»Warten Sie eine Minute und lassen
Sie mich erklären«, sag te Craig. »Ihre Schwester
durfte nach Paris fahren, wann im mer sie wollte. Sie setzte sich
dort mit Leuten von der Rési stance in Verbindung. Sie bot
an, für uns zu arbeiten, und sie war in einer einzigartig guten
Lage, um das zu tun.« »Sie wurde eine Agentin?« sagte
Geneviève leise.
»Es scheint Sie nicht sehr zu überraschen?«
»So ist es. Wahrscheinlich fand sie diese Betätigung schick.«
»Der Krieg ist alles andere als schick«,
sagte Craig gelassen. »Und das, was ihre Schwester tat, war es
noch weniger, wenn man bedenkt, was sie mit ihr gemacht hätten,
wenn sie ihr auf die Schliche gekommen wären.«
»Ich glaube, ich sollte Ihnen sagen, daß ich Krankenschwe
ster am Saint Bartholomew’s Hospital in London bin, Major«,
sagte Geneviève. »Militärstation zehn. In meiner
letzten Dienstwoche hatten wir einen von Ihren Männern da. Einen
Bordschützen von einem US-Bomber, und wir mußten ihm das
amputieren, was von seiner einen Hand übriggeblieben war. Sie
brauchen mir nicht viel vom Reiz des Krieges zu erzählen. Ich habe
etwas anderes gemeint. Wenn Sie meine Schwester so gut gekannt haben,
wie Sie sagen, werden
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