Das große Los: Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr (German Edition)
die der Gäste liefern. Ich wollte mir mal anschauen, wo meine Klamotten landen, die ich morgens weggebe und abends zurückbekomme, die T-S hirts akkurat um Pappe herumgefaltet. Und der Anblick ist unglaublich, wie eine Szene aus dem Mittelalter. 200 dhobis – Waschmänner– und ihre Familien arbeiten hier, das Geschäft ist erblich.
Die Wäsche wird in Betonwannen eingeweicht, geschrubbt, geschlagen, gespült, in Kessel mit Stärke geworfen, aufgehängt oder auf Dächern zum Trocknen ausgelegt, akkurat zusammengefaltet. Keine Ahnung, wie sie das Zeug unter diesen Umständen sauber kriegen, auseinanderhalten und wieder an die richtige Stelle zurückbringen, aber irgendwie funktioniert es.
Abends esse ich, müde von meinen Ausflügen, oft im Hotelrestaurant, als einzige Europäerin und Einzige, die unter all den Großfamilien und Geschäftsfreunden allein am Tisch sitzt. Das Essen ist phantastisch: Murgh Angara (Huhn, mittelscharf mit Koriander und Minze), Paneer (der typisch indische ricottaeske Käse) mit Paprika und Kokosmilch, Naan mit extra viel Chi l i und Wassermelonen-Gurken-Saft. Im Fernseher läuft die Cricket- WM , die derzeit im Land ausgetragen wird. Die Zeitungen sind voll davon, die Sache wird hier ähnlich hingebungsvoll zelebriert wie eine Fußball- WM bei uns. Die Kellner bringen mir die Cricket-Regeln bei, bis zum Ende meines Indien-Monats will ich zumindest eines geschafft haben: zu verstehen, worum es bei diesem Spiel geht.
Ziemlich einsam klingt das alles? Stimmt. Es ist wie verhext, aber ich komme einfach nicht in diese Stadt rein. Mein übliches Freund-eines-Freundes-Netzwerk versagt, und wenn es dann mal eine Verabredung mit Einheimischen gibt, kann ich sicher sein, dass sie im letzten Moment abgesagt wird oder ich ohne Erklärung versetzt werde.
Gestern zum Beispiel sollte ich Kashmera Shah treffen, ein Bollywood-Starlet, deren Adresse ich von einer litauischen Werbefilmschauspielerin in Buenos Aires bekommen hatte.
Man muss sich Kashmera als eine indische Daniela Katzenberger vorstellen: eine kleine Skandalnudel, die gerade versucht, mit einem erotischen Kalender Aufmerksamkeit zu erringen. Könnte klappen in einem Land, in dem Filmküsse der Gipfel der Obszönität sind– ich erinnere mich noch gern an den Haftbefehl, der vor ein paar Jahren gegen Richard Gere erlassen wurde, als er eine indische Kollegin bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung auf die Wange geküsst hatte. Der Austausch von Körperflüssigkeiten, selbst das Trinken aus demselben Glas, gilt als zutiefst ekelerregend, das Tragen eines schulterfreien Tops als indiskutabel obszön. Auftritt Fräulein Shah:
Doch, das ist allen Ernstes ihre Idee von einem erotischen Kalender. Mit anderen Worten, ich freute mich wirklich auf sie. Sie schlug als Treffpunkt das Marriott Hotel in Juhu Beach vor, eine etwa einstündige Taxifahrt Richtung Norden. Na schön. Erst die rituelle Taxi-Abzocke: Der Fahrer wollte nicht den Zähler einschalten, mir dann zusätzliche 100 statt 50Rupien für die Route über den schnelleren Sea Link abknöpfen und mich schließlich auf halbem Weg ganz rauswerfen, ich solle mir doch eine Motorrikscha für den Rest des Weges nehmen, er bekomme hier oben kein Benzin (Tank war halbvoll). Ich bin das Spiel inzwischen gewohnt; jede Fahrt muss zäh verhandelt werden.
Im Marriott die seit den Anschlägen übliche Flughafenschleuse und Körperkontrolle am Eingang, hier netterweise durch eine Frau. Ich war früh dran, ich wollte noch an den Hotelstrand gehen: » Sorry, ma’am, nur für Gäste«– natürlich, seid bloß nicht zu freundlich. Im Café ein Kännchen Beuteltee. Und warten. Und warten. Und warten. SMS geschickt, keine Antwort. Nach einer Stunde aufgegeben, zurück in die Stadt. Nur war da schon Rush hour, keine Chance auf ein Taxi auf der Straße. Der Portier besorgte mir ein Pre-Paid-Taxi, natürlich für den dreifachen Preis. Rückfahrt: zwei Stunden. Vier Stunden Sinnlosigkeit, ein typischer Nachmittag in Mumbai.
All das ist, so anstrengend es ist, natürlich zu etwas gut. Ich möchte fast wetten, dass Mumbai, die verdammte Nervensäge, am Ende dieses Jahres die tiefsten Spuren in mich hineingefräst haben wird. Ich habe es schon immer gemocht, aus meiner Komfortzone gestoßen zu werden und so lange den Kopf über die Dinge zu schütteln, bis mir schwindlig wird. Verunsicherung, Herausforderung, Desorientierung, Staunen: Warum reist man sonst? Um genau so unberührt wieder abzufahren, wie man
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