Das große Los: Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr (German Edition)
gekommen ist? Um seine Langeweile mal in einer anderen Umgebung Gassi zu führen?
Und doch, ich gerate hier immer wieder an meine Grenzen. Ich laufe mit der Faust in der Tasche durch die Stadt, ich habe einen heiligen Zorn auf alles und jeden. Auf die Backpacker am Colaba Causeway, die schon morgens beim Bier im Café Leopold sitzen, elend schlechte Pizza und Spaghetti bestellen (in Indien, Herrgott!) und damit angeben, dass sie nebenan eben ein Paar Ledersandalen von 2 Euro auf 1,50Euro runtergehandelt haben.
Auf die Konditoren, die ihr Gebäck mit Blattsilber belegen, jedes Jahr werden auf diese Weise 275Tonnen Silber gegessen.
Auf die weiblichen Bettelbanden, die Babys von den ärmsten Einwanderern aus dem Südosten mieten, um mehr Mitleid zu erregen. Ein drei Monate altes Baby kriegt man für 100Rupien am Tag (rund 1,60Euro), ein einjähriges Kind für 50, ein dreijähriges für 30Rupien. Durch die Zeitung ging auch diese Geschichte: Ein Ehepaar findet zufällig heraus, dass ihre Nanny ihr Baby ebenfalls tagsüber zum Betteln vermietet hat. Das Kind war durch Sedativa ruhiggestellt worden.
Auf den Erdölmagnaten Mukesh Ambani, der gerade für 750Millionen Dollar das größte Privathaus der Welt in die Stadt geklotzt hat. Ich habe es mir von außen angesehen: 27Stockwerke, 173 hässliche Meter hoch, 3 7 000Quadratmeter nur für sich, die Frau Gemahlin, die drei lieben Kinderlein und die Frau Mama (plus die 600Angestellten, ohne die es nun wirklich nicht geht). Sechs Etagen allein für den Fuhrpark samt eigener Werkstatt. Im 9. Stock liegt die hauseigene Notfallklinik, im 11. Stock das Schwimmbad und der Fitnessclub, ferner gibt es einen Krishna-Tempel, ein Kino, einen Ballsaal und eine Diskothek, drei Gärten und einen Vogelpark. Auf dem Dach drei Hubschrauberlandeplätze, damit es beim An- und Abflug der Gäste nicht zu Staus kommt.
Und am allermeisten bin ich wütend auf meine Wut und meine Ohnmachtsgefühle. Ich muss hier nicht leben, ich habe die Gnade der europäischen Geburt, ich kann jeden Morgen dem Herrgott auf Knien danken für mein Leben. Ich war schon vor meinem Gewinn im Vergleich zu einer Milliarde Inder stinkreich, jeder von uns ist das. Und ich habe ein Weiterflugticket in der Tasche. Also warum bin ich bloß so aufgebracht? Weil ich so elend versage bei dem Versuch, mich diesem Ort zu nähern? Weil Mumbai es geschafft hat, mich mürbe zu machen?
Meine bisherige Erfahrung beim Reisen war immer, dass man in eine Art Dialog mit einem Ort tritt. Wie man auf eine Stadt zugeht, so antwortet sie auch. Wenn einem die Stadt allerdings wiederholt in die Hand beißt, obwohl man versucht, sie zu streicheln, dann hat man irgendwann keine Lust mehr. Und das ist genau das, was hier gerade passiert: die berüchtigte Reise-Todesspirale. Die bisher eher freudlosen Erlebnisse führen dazu, dass ich dichtmache– und dass mir folglich kaum noch etwas Gutes widerfährt. Ich rechne mit dem Schlimmsten, und genau darum passiert es mir auch. Das mit Mumbai und mir wird nichts mehr, fürchte ich, die Beziehung ist zerrüttet. Wir haben alles probiert, wir waren in Paartherapie, es hat nichts genützt. Das Scheidungsverfahren läuft. Ein Schuldprinzip gibt es auch hier nicht: Es gehören immer zwei zum Scheitern einer Beziehung.
Du ahnst gar nicht, wie froh ich unter diesen Umständen über das Internet bin. Was für eine Erleichterung das oft war, mich im Blog ausheulen zu können oder beim Skypen mit Katharina. In der Ferne ist das Internet eine Nähemaschine, es liefert Unterstützung, Ermunterung, Halt, Trost. Hätte ich vorher nie gedacht, dass ich einmal so darauf angewiesen sein würde.
Und zwar nicht nur in den schwarzen Momenten: Ohne E-Mails, Facebook, Google wäre diese Reise eine völlig andere, nie hätte ich am Ende der Welt ohne jede Vorplanung die Leute getroffen und die Orte gefunden, die ich bisher schon gesehen habe. Nichts ist mir derzeit kostbarer als mein Laptop, meine Verbindung zu einer Welt, die freundlicher ist als meine direkte Umgebung. Ich zahle jeden noch so übertriebenen Preis für Onlinezugang, sollen sie mich im Hotel doch ausnehmen, mir egal. Und wenn Du mich fragst, was ich aus meinem Hotelzimmer retten würde, wenn es brennt: Pass, Macbook Air und meine silberne Teekanne aus Buenos Aires, an der ich mich gerade festklammere wie an einem Rettungsring.
Ich habe ernsthaft überlegt, ob ich abhaue aus der Stadt, bis Rose kommt, ob ich mich in so einem blöden Ayurveda-Spa einmiete
Weitere Kostenlose Bücher