Das grüne Haus (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
schluchzte Bonifacia. »Es heißt, für viele Jahre.«
Und? war das Gefängnis von Piura nicht schlimmer als ein Schweinestall? Josefino machte ein paar Schritte durch das Zimmer, die Sträflinge hausten in Drecklöchern, lehnte sich gegen das Fensterbrett, verreckten vor Hunger, im schwachen Schein einer Laterne des Colegio San Miguel sah man die Kirche und die Algarrobos der Plaza Merino wie im Traum, und die Krakeeler kriegten Kacke statt was zu essen, und Lituma war ein Krakeeler, und wehe ihnen, wenn sie sie nicht hinunterschluckten: besser, daß er nach Lima geschickt worden war.
»Nicht einmal verabschieden hab ich mich können«, schluchzte Bonifacia. »Warum haben sie mir denn nicht gesagt, daß sie ihn wegschicken würden?«
Waren Abschiede nicht traurig? Josefino näherte sich dem Sofa, wo sie sich eben hingesetzt hatte, Bonifacias Füße stießen zornig die Schuhe von sich, von Zeit zu Zeit durchzuckte es ihren ganzen Körper. So war’s besser, auch für Lituma, der nur traurig geworden wäre, und sie, woher sollte sie denn das Geld nehmen, die Fahrkarte war schrecklich teuer, in der ›Empresa Roggero‹ hatte man’s ihr gesagt. Josefino legte ihr den Arm um die Schultern. Was sollte die Ärmste denn in Lima? Sie würde hier bleiben, in Piura, und er würde sich um sie kümmern, und er würde dafür sorgen, daß sie an all das nicht mehr dachte.
»Er ist mein Mann, ich muß hin«, schluchzte Bonifacia.»Ganz gleich wie, ich werd ihn jeden Tag besuchen gehen, ihm was zu essen bringen.«
Aber in Lima war das doch ganz anders, Dummchen, da gab’s anständiges Essen, da wurden sie gut behandelt. Josefino schloß seine Arme um Bonifacia, sie wehrte sich einen Augenblick, gab nach, und endlich wurde sie warm, war der Polyp etwa kein brutaler Kerl? und sie, Lüge, verleidete er ihr nicht das Leben? und sie, keineswegs, lehnte sich aber an ihn und fing wieder an zu weinen. Josefino streichelte ihr übers Haar. Und außerdem, was war denn schon, ein Glücksfall, ganz ehrlich gesagt, Selvática: jetzt waren sie ihn los.
»Ich bin schlecht, aber du noch mehr als ich«, wimmerte Bonifacia. »Wir kommen beide in die Hölle, und warum sagst du Selvática zu mir, wo du doch weißt, daß ich’s nicht mag, siehst du, siehst du, wie gemein du bist?«
Josefino schob sie sanft zur Seite, stand auf, und das war doch die Höhe, wär sie ohne ihn nicht verhungert? würde sie nicht wie eine Bettlerin leben? Er suchte in seinen Taschen, lehnte am Fenster, wie im Traum, und nun kam sie obendrein noch an und weinte in seinem Beisein dem Polypen nach, holte eine Zigarette heraus und steckte sie sich an: man hatte schließlich seinen Stolz, zum Teufel auch.
»Du duzt mich«, sagte er auf einmal und wandte sich Bonifacia zu. »Sonst nur im Bett und danach immer Sie. Wie eigenartig du bist, Selvática.«
Er kehrte an ihre Seite zurück, und sie machte eine Bewegung, als wollte sie wegrücken, aber dann ließ sie sich umarmen und Josefino lachte. Schämte sie sich? Flausen, die ihr die Nönnchen in ihrem Dorf in den Kopf gesetzt hatten? Warum duzte sie ihn nur im Bett?
»Ich weiß, daß es Sünde ist, und trotzdem mach ich weiter mit dir«, jammerte Bonifacia. »Du verstehst das nicht, aber Gott wird mich strafen, und dich auch, und an allem hast du schuld.«
Wie scheinheilig sie war, darin glich sie in der Tat den Piuranerinnen, allen, allen Frauen, so was von heuchlerisch, Cholita, hatte sie gewußt oder nicht, daß sie seine Geliebte werden würde, damals abends, als er sie mitgenommen hatte? und sie hatte es nicht gewußt, das Gesicht zuckte, sonst war sie nicht mitgegangen, hatte aber nicht gewußt, wohin sonst. Josefino spuckte die Zigarette auf den Boden und Bonifacia schmiegte sich an ihn und Josefino konnte ihr ins Ohrflüstern. Aber gefallen hatte es ihr, sollte ehrlich sein, Selvática, es zugeben, nur einmal, langsam, nur ihm gegenüber, Schätzchen, hatte es ihr gefallen oder hatte es ihr nicht gefallen, Süßes?
»Es hat mir gefallen, weil ich schlecht bin«, wisperte sie »Frag mich nicht, es ist Sünde, red nicht davon.«
Besser als mit dem Polypen? sie sollte es schwören, niemand hörte sie, er liebte sie, stimmte es nicht, daß sie’s mehr genoß? er küßte ihren Hals, kaute an ihrem Ohr, unter dem Rock war alles eng, angespannt undbrutwarm, mit versagender Stimme, doch, das erste Mal, eher vor Schmerz, stimmte es nicht, daß er sie sehr wohl zum Aufschreien brachte, wenn er wollte? und nur vor
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