Das gruene Zelt
Schulhof ordentlich verprügelt. Es begann mit einer harmlosen Schneeballschlacht und endete mit einer großen Niederlage: für Micha mit einem blauen Auge und einer zerbrochenen Brille, für Ilja mit einer aufgeplatzten Lippe. Kränkend daran war, dass die Angreifer nur zu zweit waren, sie dagegen zu viert. Sanja hielt sich wie gewohnt ein wenig abseits – eher aus Sensibilität denn aus Feigheit. Mutjukin und Murygin weckten in ihm ebensolchen Abscheu wie der unvergessliche Scheuerlappen, mit dem sie ihm übers Gesicht gefahren waren. Doch Sanja beachteten die Gegner ohnehin nicht, der rothaarige Micha, der Murygin mit einem steinharten Schneeball mitten auf die Nase getroffen hatte, interessierte sie weit mehr. Ilja spuckte am Zaun Blut, Tschetwerikow überlegte, ob es nicht an der Zeit sei, abzuhauen, und Micha stand mit dem Rücken an der Wand, die geballten roten Fäuste in Abwehrstellung vorm Gesicht. Michas Fäuste waren groß, fast schon die eines erwachsenen Mannes.
Mutjukin zog ein Schnappmesser, das aussah wie ein Federmesser, allerdings für sehr große Federn, eine schmale Klinge sprang heraus, und Mutjukin ging breitbeinig auf Micha und seine lächerlichen Fäuste zu. Da jaulte Sanja auf, sprang los, war mit zwei ungeschickten Sätzen bei Mutjukin und griff nach der Klinge. Das Blut schoss furchtbar schnell hervor, Sanja schüttelte die Hand, und der rote Strahl traf Mutjukins ganzes Gesicht. Mutjukin brüllte, als hätte das Messer ihn getroffen, und rannte augenblicklich davon, gefolgt von Murygin. Doch niemand triumphierte. Micha sah schlecht, was geschah – er war ohne Brille. Tschetwerikow rannte verspätet Murygin hinterher, aber diese Verfolgung war völlig sinnlos. Ilja wickelte einen Schal um Sanjas Hand, doch das Blut lief wie aus einem Wasserhahn.
»Lauf zu Anna Alexandrowna, schnell!«, rief Ilja Micha zu. »Und du in die Schule, zur Ärztin.«
Sanja war bewusstlos – vor Schreck oder vom Blutverlust. Fünfundzwanzig Minuten später befand er sich in der Sklifossowski-Unfallklinik. Rasch wurde das Blut gestillt und die Wunde genäht. Nach einer Woche stellte sich heraus, dass Ringfinger und kleiner Finger steif waren. Ein Professor erschien, wickelte Sanjas kleine Hand aus, freute sich, wie gut die Heilung verlief, und erklärte, das teuflische Messer habe die Beugesehnen des zweiten bis fünften Fingers durchtrennt, und es sei erstaunlich, dass nur zwei Finger steif seien und nicht alle vier.
»Kann man das behandeln? Massagen? Elektrotherapie? Irgendwelche neuen Behandlungsmethoden?«, fragte Anna Alexandrowna den Professor, der sie respektvoll ansah.
»Auf jeden Fall. Nach der vollständigen Verheilung. Die Mobilität lässt sich teilweise wiederherstellen. Aber wissen Sie, Sehnen sind keine Muskeln.«
»Wird er wieder ein Musikinstrument spielen können?«
Der Professor lächelte mitfühlend.
»Wenig wahrscheinlich.«
Er wusste nicht, dass er ein Todesurteil verkündet hatte. Anna Alexandrowna sagte Sanja nichts davon, und ein halbes Jahr nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus ging sie mit ihm zur Therapie.
Gleich nach Sanjas Operation war die Schuldirektorin zu ihm ins Krankenhaus geeilt, Berichte über das Messer hatten auch sie erreicht, und sie war erschrocken. Bei der Vernehmung zeigte sich Sanja verschlossen und entschieden: An die fünfmal wiederholte er, er habe das Messer auf dem Schulhof gefunden, auf den Knopf gedrückt, und da sei die Klinge herausgesprungen und habe ihm die Hand verletzt. Er habe keine Ahnung, wem das Messer gehöre. Das Indiz war am Tag nach dem Vorfall gefunden worden. Es lag in einer kleinen blutgetränkten Schneeinsel, wie im Film. Es wurde zur Direktorin gebracht und in der obersten Schublade ihres Schreibtischs verstaut.
Tante Genja jammerte lange über Michas zerbrochene Brille, Ilja wurde von seiner Mutter ein wenig ausgeschimpft wegen seiner Rauflust, und Igor Tschetwerikow konnte den Vorfall ganz vor seinen Eltern geheimhalten.
Von diesem Tag an galt Igor, auch wenn er nicht direkt zum Trianon gehörte, als ihr Sympathisant. Die weitere Entwicklung der Ereignisse im Laufe eines Vierteljahrhunderts sollte zeigen, dass die kleinen Rowdys einen untrüglichen Instinkt für »feindliche Elemente« besaßen – sie hatten einen künftigen Dissidenten vermöbelt.
Nachdem es der Direktorin gelungen war, diese Prügelei, die die ganze Schule in Aufregung versetzt hatte, unter den Teppich zu kehren, zogen sich Mutjukin und Murygin eine
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