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Das Habitat: Roman (German Edition)

Das Habitat: Roman (German Edition)

Titel: Das Habitat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Luzius
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ausschelten, weil ich die ganze Nacht über fortgeblieben war. Doch je näher ich dem Anwesen kam, desto deutlicher konnte ich die verkohlten Reste des Haupthauses in der Morgensonne ausmachen. Wie der Stumpf eines verfaulten Zahnes, ragten die Überreste zwischen den umstehenden Gebäuden heraus.
    Fassungslos stand ich schließlich davor. Ich war zu keiner Regung fähig. Ich konnte einfach nicht begreifen, was geschehen war.
    Plötzlich faste mir jemand von hinten auf die Schulter. Ich fuhr herum. Ich blickte in das wettergegerbte Gesicht Jacks. Jack Bhriain war der Stallmeister meines Vaters. Graue Stoppeln zierten seine Wangen und sein Kinn. Seine faltigen Augen sahen mir mitfühlend entgegen.
    „Niemand hätte geglaubt, dass Michael zu so etwas fähig wäre. Ich kannte deinen Vater von klein auf, weißt du! Er hat niemals Anzeichen für Wahnsinn gezeigt. Ich hätte doch sofort...“
    „Wahnsinn? Was meinst du damit, Jack?“
    Ich sah ihn ungläubig an.
    „Ist schon in Ordnung, Liam“, sagte er ruhig. Er hob beschwichtigend beide Hände.
    „Jack!“, fuhr ich ihn an. „Willst du etwa sagen, mein Vater hätte das hier getan!“
    Ich konnte nicht fassen, was der Alte da eben angedeutet hatte.
    „Jack, du warst doch da, in dieser Nacht! Da waren diese Anderen... du musst sie doch gesehen haben! All die Lichter... Jack!“
    „Schon in Ordnung, Liam. Schon in Ordnung...“
    „Nichts ist in Ordnung!“, schrie ich ihn an. „Was ist mit den Lichtern! Hast du denn wirklich nichts gesehen! Oder warst du wieder betrunken!“
    Ich tat ihm Unrecht und ich wusste es. Seit Weihnachten hatte er keinen Tropfen mehr angerührt. Doch das war mir jetzt egal. Sollte er durch meine Worte getroffen worden sein, so ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Sein Blick blieb mitfühlend und seine Stimme sanft, als er sagte:
    „Es war alles hell erleuchtet, Liam. Das ganze Haus stand ja in Flammen.“
    „Und die Anderen...“
    „Natürlich haben alle Knechte mit angepackt. Auch die Mägde. Sogar die alte Sophia. Glaub mir, wir haben alles versucht, das Feuer zu löschen!“
    „Das meine ich nicht. Ich meine die Anderen – die Fremden!“
    „Da war niemand, Liam.“ Er sah mich einen Augenblick lang unsicher an. „Falls da doch welche gewesen sein sollten, die nicht auf den Hof gehörten, so habe ich sie im Trubel jedenfalls nicht gesehen. Wir hatten alle Hände voll zu tun...“
    „Und warum glaubst du, dass mein Vater für all das verantwortlich ist?“
    „Ich habe ihn gesehen, Liam! Er hätte überhaupt nicht da sein dürfen. Er war nach Loughrea gefahren. Ein paar Tage zuvor schon...“
    „Das weiß ich!“
    „Er hat sich also irgendwann an diesem Abend zurückgeschlichen. Warum, so frage ich dich, muss sich jemand heimlich auf seine eigene Farm schleichen.“
    „Jack, das hat doch gar nichts zu sagen!“
    „Ich habe ihn gesehen, Liam. Ich habe gesehen wie dein Vater aus dem brennenden Haus lief. Und die Anderen haben es auch gesehen. Das meiste von dem, was er da schrie, war völlig unverständlich. Doch deutlich hörte ich immer wieder deinen Namen heraus. Dann lief er über die Felder davon. Zuerst glaubten wir dich auch in den Flammen verbrannt. Doch später, als wir den Weg verfolgten, auf dem dein Vater verschwunden war, fanden wir dich. Gott sei’s gedankt! Na ja, genau genommen hat Pater O’Malley dich gefunden, der den Suchtrupp anführte...“
    „Und Mom?“, unterbrach ich ihn. Doch ich wusste die Antwort bereits.
    Stumm sah Jack mir entgegen.
     
     
    Die folgenden Wochen wohnte ich im Pfarrhaus. Pater O’Malley wurde vom Dorfrat zu meinem Vormund ernannt. Da der Pater dem Rat als Bürgermeister vorstand, war dies keine Überraschung. Zwar hatte ich mich dafür eingesetzt, weiterhin auf der Farm leben zu dürfen (in den Unterkünften der Bediensteten war genügend Platz), doch ich war noch nicht frei gesprochen und galt somit noch als Kind. Das aber würde sich in wenigen Monaten ändern. Vorerst jedoch musste ich mich fügen.
    Während der Beisetzung meiner Mutter stand ich nur schweigsam daneben. Ich war weder fähig zu weinen, noch zu sonst irgendeiner Gefühlsregung.
    Seamus war mir während dieser Zeit ein guter Freund. Er war stets für mich da und versuchte immer wieder, mich mit den verschiedensten Unternehmungen aufzuheitern. Doch auch mit ihm konnte ich nicht wirklich über diese schreckliche Nacht sprechen. Meine Erlebnisse und Erinnerungen – speziell was die Fremden anging, die mein

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