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Das Habitat: Roman (German Edition)

Das Habitat: Roman (German Edition)

Titel: Das Habitat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Luzius
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Vater nur „die Anderen“ genannt hatte – tat er als Verwirrung ab. Er hielt das für Einbildungen, die mein Verstand mir eingab, weil er sich einfach weigerte, die entsetzliche Wahrheit zu akzeptieren. Zwar tat er so, als würde er mir glauben, doch ich merkte sehr wohl, dass er es nicht tat.
    Außer Seamus gab es nur einen weiteren Menschen, mit dem ich in jener Zeit sonst noch sprach. Dies war der alte Jack. Er hörte mir stets geduldig zu, wenn ich ihn auf der Farm besuchte. Doch auch er hielt mich für verwirrt – wenngleich auch er mich dies niemals merken zu lassen versuchte. Auch er fragte sich oft, was wohl aus meinem Vater geworden war. Und wenngleich auch er meinen Schilderungen jener Nacht keinen Glauben schenken konnte, so verstand er doch zumindest, dass ich einfach wissen wollte – ja wissen musste – was mit meinem Vater geschehen war.
    Im Dorf war das, was auf unserer Farm passiert war, lange Zeit Hauptgesprächsthema. Überall traf ich auf mitleidige Blicke und Gespräche verstummten plötzlich, wenn ich vorüberkam.
    Ich suchte immer mehr die Einsamkeit. Nun, nach langer Zeit, zog es mich auch wieder ins alte Rosedalehaus. Lange war ich nicht mehr dort gewesen. Jetzt aber spendete der Ort mir Trost und die Abgeschiedenheit die ich brauchte.
    Lange Abende verbrachte ich hier, alleine mit meinen Gedanken.
    Was sich im Dorf erzählt wurde, über meinen Vater – dass er wahnsinnig geworden war, sein Haus angezündet, seine Frau und beinahe auch seinen Sohn getötet hatte –, all das machte es mir immer schwerer, mich in der Gegenwart anderer wohl zu fühlen. Wenngleich auch alles dafür unternommen wurde, mir einen Halt anzubieten, in der Gemeinschaft. Ich wusste, dass alles ganz anders gewesen war, als man sich im Dorf erzählte. Mein Vater war nicht wahnsinnig geworden. Er hatte das Haus nicht angezündet! Und er war auch nicht schuld am Tode meiner Mutter. Das sagte ich mir immer wieder. Und die Fremden – diese Anderen – ich hatte sie wirklich gesehen. Und nicht nur in der Nacht des Feuers. Ich hatte sie bereits vorher schon einmal gesehen – damals, auf der Farm der Conners. Aber das konnte ich natürlich niemandem sagen.
    Dennoch, so muss ich einräumen, gab es durchaus Zeiten, an denen ich schwankte. Die kollektive Kraft der Gemeinschaft kann eine ganz außergewöhnliche suggestive Macht ausüben – ganz besonders auf einen traumatisierten Jugendlichen. Und vielleicht wäre es wirklich einfacher gewesen, ich hätte glauben können, was man mir erzählte. Wenn ich mir die Anderen tatsächlich nur eingebildet hätte, weil mein Verstand die Wahrheit einfach nicht akzeptieren wollte...
    Doch da war eben noch jene Nacht, da ich mich verbotener Weise auf die Farm der Conners geschlichen hatte. Zu jener Zeit war mein Leben noch in Ordnung gewesen. Kein traumatisches Erlebnis hatte mir damals falsche Bilder und Erinnerungen eingegeben.
    Immer wieder fragte ich mich, was aus meinem Vater geworden war. Warum kam er nicht, nach mir zu sehen? Sicher hätte er das getan, wenn er gekonnt hätte. Wahrscheinlich, so sagte ich mir, hatten die Anderen ihn erwischt. Doch dieser Gedanke erschreckte mich noch mehr, als der, das mein Vater tatsächlich wahnsinnig geworden wäre.
    Ich grübelte unablässig. Tagelang. Nächtelang. Doch ich konnte mir einfach keinen Reim darauf machen, wie das alles zusammen hing. Wer waren diese Anderen? Und was hatte mein Vater mit ihnen zu tun?
    Eines war sicher: Es gab eine ganze Menge über meinen Vater, das ich nicht wusste. Da waren diese vielen Reisen. Ausgerechnet er, der Reisen und alles was damit zusammenhing doch so offensichtlich ablehnte. Oder hatte er sich etwa nur nach außen hin so gegeben, wie es dem allgemeinen Verhalten entsprach? Immer mehr kam mir zu Bewusstsein, dass mein Vater ein Leben geführt hatte, von dem ich so gut wie überhaupt nichts wusste. Und was war in jener Nacht gewesen, als ich ihn gesehen hatte – damals, als ich mit Sarina von unserem Spaziergang über die Felder zurückgekehrt war? Wie Diebe in der Nacht, hatten er und seine Begleiter sich da durch die Dunkelheit geschlichen. Damals war ich viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt gewesen, als das ich mir wirklich groß Gedanken gemacht hätte darüber, was mein Vater und die anderen da wohl zu besprechen hatten, dass sie es heimlich und mitten in der Nacht tun mussten – anstatt bei hellem Tageslicht, oder gemütlich bei einem Pint bei Fitzgerald. Zudem, muss ich gestehen,

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