Das Habitat: Roman (German Edition)
Familie, einschließlich der wenigen Knechte und Mägde, bis spät in die Nacht zu einer Hochzeitsfeier, auf einer der Nachbarfarmen, geladen gewesen war.
Während Allen, Ryan und ich uns an den Wurstwaren gütlich getan hatten war Eileen vorsichtig um die Gebäude geschlichen, um darauf zu achten, ob sich bei den vermeintlich Schlafenden in einem der Häuser ringsum, möglicherweise doch Leben zu regen begann. Dabei hatte sie sich offenbar etwas zu weit vor gewagt. Einer der Hütehunde, auf einer nahen Schafsweide, musste sie gewittert haben. Eileen hatte in der Ferne mit einem Mal das leise Rumpeln eines sich rasch nähernden Wagens und auch Hufgetrappel gehört. Leise Stimmen hatte die Nachtluft zu ihr herübergetragen. Sofort wollte sie zurück zum Rauchhaus laufen, um uns zu warnen. Da hatte sie sich plötzlich unversehens dem zähnefletschenden und bedrohlich knurrenden Tier gegenüber gesehen. Sie hatte nicht gewagt, sich zu rühren. Wenige Augenblicke später hatte Hendersons Sohn, der offenbar den anderen ein Stück weit vorausgeritten war, die Farm erreicht und das Mädchen dergestalt dort vorgefunden. Er musste bereits mit geladenem Gewehr im Anschlag vor dem Rauchhaus gestanden haben, noch bevor wir drinnen den Lärm wahrgenommen hatten, der kurz darauf die Ankunft des Restes der Gesellschaft angekündigt hatte.
Die Hendersons waren warmherzige und gütige Menschen, das hatte sich schnell gezeigt. Als sie erkannt hatten, dass sie es lediglich mit einer handvoll ärmlich gekleideter und hungriger Jugendlicher zu tun hatten, hatten sich ihre Minen etwas entspannt und ihre Flinten hatten sich gesenkt. Vor allem Mrs. Henderson, eine rundliche Frau mit schelmisch zwinkernden Augen, hatte sich daraufhin unserer angenommen. Sie hatte den Männern der Runde nur strenge Blicke zugeworfen und uns in das, zwar nicht allzu große, jedoch sehr ordentliche und liebevoll eingerichtete, Haupthaus komplimentiert. Dort bereitete uns eine Magd, auf ihr Geheiß hin, einen wohltuenden heißen Kräutertee, den wir unter den nun schon etwas milderen, jedoch weiterhin wachsamen, Blicken der Versammelten tranken. Auch etwas zu Essen sollten wir erhalten. Sie reichte uns jedem ein anständiges Stück würzig duftenden Cheddar. Hierzu gab es hausgebackenes Sodabrot. Der Laib verschwand nahezu in ihrem mächtigen Busen, als sie ihn mit einer Hand fest an sich drückte, während sie mit der anderen dicke Scheiben davon absäbelte. Wären die Umstände andere gewesen, so hätten wir uns sicherlich sehr über diese unverhoffte reichliche Mahlzeit gefreut, doch saßen uns Schreck und Verzweiflung über unsere Lage zu sehr in den Gliedern, als dass wir wirklich etwas hinunter bekommen hätten.
Alle Bewohner dieser kleinen Farm – die Hendersons selbst, sowie drei Knechte und zwei Mägde – saßen um uns herum und sahen schweigend zu, wie wir an unseren Tassen nippten und an dem Brot knabberten. Mir war klar, dass sie wohl gleich damit anfangen würden, uns auszufragen. Ich zermarterte mir krampfhaft das Hirn nach einer plausiblen Geschichte. Ich hoffte inständig, dass Allen oder Eileen auf derartige Situationen vorbereitet waren. Es mochte womöglich nicht das erste Mal sein, dass eines der Kinder aus Jamersons Schar in eine Situation geriet, in der es mit gut vorbereiteten Erklärungen aufwarten musste. Noch während ich mir dies überlegte jedoch geschah etwas unerwartetes. Mrs. Henderson sah uns gütig und doch mit strengem Blick entgegen. Mit ruhiger Stimme sagte sie:
“Ihr seid diese Nacht herzlich willkommen in unserem Haus. Esst und danach schlaft euch erst einmal richtig aus. Morgen aber müssen wir euch dann zurückbringen zur Schützenden Hand. Glaubt mir, es ist wirklich nur zu eurem Besten.“
Ich sah irritiert auf. Ihre braunen Augen fixierten mich. Jedoch sie musste meinen verwirrten Blick missgedeutet haben, denn sie fuhr in einfühlsamen Ton fort:
„Dachtet ihr etwa, wir wüssten nicht von wo ihr kommt? Ihr seid nicht die ersten von dort, die hier in der Gegend aufgetaucht sind. Erst im vergangenen Herbst hat Miles McKinley zwei dieser verirrten Schäfchen gefunden. Sie hatten sich in seiner Scheune versteckt.“
Es war Ryan der am schnellsten reagierte:
„Bitte, schicken Sie uns da nicht wieder hin.“, jammerte er plötzlich erbärmlich. „Dort ist es so schrecklich!“
Es entfachte ein heftiger Wortwechsel zwischen den Hendersons und Ryan, bei dem diesem sichtlich die Tränen in die Augen
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