Das Habitat: Roman (German Edition)
sollte, oder wie er mir schon würde helfen können, in meiner verzweifelten Lage. Dennoch war er der Strohhalm an den mein Verstand sich klammerte.
Wir erreichten einen großen Platz. Geschäfte, Handwerksstätten, Pubs und Verkaufsstände lösten hier einander ab, zwischen denen die Menschen mit hochgezogenen Kragen und tief in die Stirn gedrückten Hüten hin und her huschten. Vor manchen der Teestuben standen kleine Tische und Stühle, die bei diesem Sauwetter jedoch verwaist waren. Regen plätscherte darauf hernieder.
Wir befanden uns etwa in Höhe der Mitte des Platzes, als ich den Kopf in Fahrtrichtung wendete. Vor uns, noch ein Stück weit entfernt, tat sich eine breite gerade Gasse auf, an deren Ende ein großer steinerner, spitz zulaufender Turm in die Höhe ragte; wie ein mahnender Finger, erhoben über die Stadt. Die Kathedrale von Ennis. Dahinter breiteten sich die Mauern des Ordinariats aus. Unser Wagen hielt direkt darauf zu.
Wieder spürte ich wie mein Magen begann, sich zusammen zu krampfen – heftiger noch als zuvor.
Der Anblick hielt mich derart gefangen, dass ich den bunt bemalten Planwagen zuerst überhaupt nicht wahrgenommen hatte, der uns entgegenkam. Erst als er bereits auf unserer Höhe war, schien er in meinem Blickfeld aufzutauchen. Und für einen Moment – einen winzigen Augenblick nur – blickte ich in ein Gesicht, das mir irgendwie vertraut vorkam. Mein träger Verstand jedoch, schien sich zunächst zu weigern, sich von dem angsteinflößenden Anblick des Kathedralenturms abzuwenden, und dem Träger dieses Gesichtes eine Erinnerung zuordnen zu wollen. Erst als der Wagen uns bereits passiert hatte, schoss mir der Name in den Sinn.
„Marten!“, rief ich plötzlich.
Die Hendersons und ihre Knechte sahen mich verwirrt an. Auch Ryan und die anderen beiden blickten verwirrt hoch. Ich achtete nicht darauf.
Ich sah dem Wagen hinterher, der sich schnell – viel zu schnell – wieder von uns entfernte.
„Marten!“, rief ich erneut.
Das Gesicht des Puppenspielers kam um die Ecke des Wagens. Seine Augen sahen sich offenbar nach demjenigen um, der da so unvermittelt seinen Namen gerufen hatte.
Unsere Blicke trafen sich. Seiner fragend, meiner hoffnungsvoll. Doch erkannte ich, dass er bereits im Begriff war, sich wieder abzuwenden und seinen Weg einfach fortzusetzen. Da schoss mir eine Idee durch den Sinn.
„Michael!“, rief ich, so laut ich konnte, den Namen meines Vaters durch den strömenden Regen und das Rumpeln der Wagen.
„Michael O’Sullivan!“
Das Mienenspiel des Gesichtes vermochte ich schon nicht mehr zu erkennen. Unerbittlich verschwand der Planwagen am anderen Ende des Platzes, als wir in die Gasse einfuhren.
Enttäuscht sank ich zurück.
„Jemand den du kennst?“, fragte Henderson.
„Nein“, antwortete ich resigniert. „Nein, ich habe mich getäuscht.“
Das Waisenhaus der Schützenden Hand wurde vom Orden der Barmherzigen Schwestern geleitet und lag außerhalb der mächtigen Mauern, welche das Gebiet des Ordinariates umfassten.
Mit steifen Gliedern kletterten wir vom Wagen. Ich empfand keinerlei Erleichterung darüber, aus dem strömenden Regen ins Trockene zu kommen, als wir die schweren Flügel des Eingangstores durchschritten, die sich erbarmungslos hinter uns schlossen.
Eine ältliche Ordensschwester mit verkniffenem Gesichtsausdruck, der dennoch krampfhaft darum bemüht schien, Güte und Herzenswärme auszustrahlen, sah uns zunächst irritiert entgegen. Als sie jedoch Ryan erblickte, hellten sich ihre Augen etwas auf.
„Ryan...“, sagte sie nachdenklich. „Du musst Ryan Connelly sein.“
Als Ryan hierauf nichts erwiderte und nur stur zu Boden starrte, fuhr sie fort:
„Du kommst aus dem Haus der Gütigen Väter in Galway. Weißt du eigentlich, welche Ängste die Sorger dort um dich ausgestanden haben, seit deinem Verschwinden? Man glaubte dich verloren – tot womöglich sogar!“ Sie strich ihn liebevoll über den Kopf. Er ließ es stumm geschehen. „Oh du armes verirrtes Schäfchen. Aber nun bist du ja wieder in sicherer Obhut.“
Dann wandte sie sich dem verwirrt drein blickenden Henderson zu. Dieser sagte:
„Wir haben sie letzte Nacht bei uns auf der Farm erwischt.“ Dass wir gerade dabei gewesen waren, sein Rauchhaus zu plündern, davon erwähnte er nichts. Er wollte uns offenbar keine Schwierigkeiten machen.
„Wir dachten, sie seien von hier...“
„Nun, der junge Ryan hier ist aus Galway“, antwortete sie. Sie
Weitere Kostenlose Bücher