Das Habitat: Roman (German Edition)
noch wie der Schlüssel im Schloss herumgedreht wurde und ihre Schritte im Flur verhallten. Ich setzte mich auf das Bett und starrte ins Leere.
Der Bischof
Der Speisessaal war durchzogen von zwei Reihen runder Säulen, welche die Decke trugen. Der ganze Raum erinnerte entfernt irgendwie an ein Kirchenschiff, nur war er in hellen Farben gehalten. Durch die großen Fenster konnte man auf einen kleinen Park hinaus blicken. Dahinter erhoben sich die schweren Mauern des Ordinariats.
Der Regen draußen war unvermindert heftig, sodass der Saal mit Gaslicht erhellt wurde. Bereits auf dem Weg hierher hatte ich die Straßenlaternen wahrgenommen, ihnen jedoch aufgrund meiner verzweifelten Lage kaum Beachtung geschenkt. Unter anderen Umständen aber hätte ich dieses Wunder sicherlich gebührend bestaunt. Sehr viel später sollte ich erfahren, dass sich hinter den Mauern des Ordinariats eine große Anlage befand, in der Kompost zu Gas vergoren wurde. Zwar roch es etwas seltsam wenn man es verbrannte, doch gewöhnte man sich schnell daran. Nach kurzer Zeit bereits nahm ich den Geruch kaum noch wahr.
Viele Kinder unterschiedlichsten Alters standen in zwei langen Schlangen vor einer großen Theke an. Jungen und Mädchen getrennt. Überhaupt, so erfuhr ich nun, waren die Mahlzeiten eine der wenigen Gelegenheiten bei denen beide sich überhaupt zu Gesicht bekamen. Selbst Geschwister hatten so kaum Kontakt zueinander. Sonst gab es eigentlich nur noch die Gottesdienste, die manchmal wenigstens die Möglichkeiten boten, Zettel mit Nachrichten auszutauschen. Doch wer dabei erwischt wurde, dem drohten Strafdienste – im Wiederholungsfall bis zu mehreren Wochen Einzelunterbringung. Zur Besinnung und inneren Einkehr, wie es hieß. Dies und noch viel mehr hatte ich zum Teil bereits schon früher, bei meinen vielen Gesprächen mit Ryan, erfahren. Zwar beruhten seine Erfahrungen auf seinem Leben im Waisenhaus von Galway, doch schienen hier nahezu die selben Gepflogenheiten zu herrschen.
Ryan und ich standen unmittelbar hintereinander, jeder von uns hielt ein Tablett in Händen. Die Schlange kam nur langsam voran. Als ich mich umsah entdeckte ich Allen, der sich nahezu am Ende der Schlange befand und missmutig vor sich hinstarrte.
Verstohlen blickte ich immer wieder hinüber zu den Mädchen. Ich hielt nach Eileen Ausschau, konnte sie jedoch nirgends entdecken.
Wir erhielten pro Kopf zwei Scheiben Brot, etwas Butter dazu, sowie eine seltsam zähe Dauerwurst. Hierzu gab es ungesüßten Minzetee und einen Apfel für jeden. Es schmeckte alles nicht eben besonders gut – schon gar nicht, wenn ich an des herrlich frische Brot und den Käse der Hendersons dachte – doch war es ausreichend. Die Geschichten, die Ryan mir erzählt hatte, über ständig hungrige Waisenhauskinder, waren offensichtlich stark übertrieben. Zumindest wenn diese Mahlzeiten hier überall Standard waren.
Wir suchten uns einen freien Platz an einem der langen Tischreihen und hielten auch noch einen für Allen frei.
Erneut sah ich zu den Mädchen hinüber, während ich an einem Wurstzipfel kaute. Mein Blick schweifte unauffällig umher. Ich vermochte Eileen immer noch nicht auszumachen, was mir seltsam vorkam.
„Ihr sitzt auf unseren Plätzen!“
Die Jungen war in etwa in meinem Alter und mussten, ebenso wie ich, kurz vor der Freisprechung stehen. Ich hatte sie in meinem Bemühen, Eileen ausfindig zu machen, gar nicht wahrgenommen. Nun erst, als sie sich breitbeinig vor uns aufbauten, besah ich sie mir genauer. Sie waren zu fünft – zumindest soweit ich sehen konnte, doch mochten hinter mir noch weitere stehen. Sie trugen die gleiche Einheitskleidung wie wir, doch wirkte sie abgetragener und schon häufiger geflickt. Der Rädelsführer, ein sommersprossiger Rotschopf mit feistem Gesicht, fixierte mich herausfordernd.
„Das wussten wir nicht“, erwiderte ich beschwichtigend. „Ihr müsst wissen, wir sind gerade erst hier angekommen.“
Die Absicht des Rotschopfes und seiner Kumpane war klar. Er war hier offenbar der Platzhirsch und wollte dies den Neuankömmlingen auch sofort unmissverständlich deutlich machen. Freie Plätze ringsumher gab es noch genug und mir war bewusst, dass, gleichgültig wohin wir uns auch gesetzt hätten, die Bande dennoch aufgetaucht wäre.
„Komm Ryan, da vorne ist noch was frei“, sagte ich ruhig.
Ich muss an dieser Stelle einwerfen, dass ich einer Prügelei unter Jungen eigentlich nie aus dem Weg gegangen bin. Trotzdem
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