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Das Habitat: Roman (German Edition)

Das Habitat: Roman (German Edition)

Titel: Das Habitat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Luzius
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hinter mir ins Schloss.
    Ich ging zur Waschschüssel und wusch mir die Spuren des Kampfes aus dem Gesicht.
    Während ich mich mit dem einzigen grauweiß gestreiften Handtuch abtrocknete dachte ich an Allen, der so unvermittelt ins Geschehen eingegriffen hatte. Sicher, er hatte dies nicht meinetwegen getan, soviel war mir klar. Er mochte mich nicht leiden. Das tat er nie. Und wäre es nicht auch um Ryan gegangen, so hätte er sich womöglich nicht weiter drum geschert, was da am Tisch vor sich gegangen war. Trotzdem, zum ersten Mal empfand ich so etwas wie Zusammengehörigkeit. Ja, ich fühlte ich mich für einen kurzen Augenblick sogar als eines von Jamersons Kindern. Natürlich, ich gehörte nicht wirklich zu ihnen und falls es mir gelingen sollte, von hier zu verschwinden, dann würden sich unsere Wege wohl für immer trennen – dennoch, nun erst konnte ich Ryan wirklich verstehen. Er hatte sich bereits durch das harte Leben eines Waisenkindes hindurchkämpfen müssen. Er mochte schon viele Situationen wie diese erlebt haben. Doch stets war er dabei für sich alleine gestanden – und ebenso stetig unterlegen. Nun aber, da er als vollwertiges Mitglied in Jamersons Schar aufgenommen worden war – als Gleicher unter Gleichen –, stand er zum ersten Mal in seinem Leben nicht mehr alleine. Er war Teil einer Gemeinschaft, die füreinander einstand. Je länger ich darüber nachdachte, desto besser verstand ich nun dieses zufriedene – ja fast glückliche –  Lächeln, das er, trotz aller Prügel, die er kurz zuvor hatte einstecken müssen, zur Schau getragen hatte.
     
     
    Dergestalt saß ich gerade auf meinem Bett und brütete vor mich hin, als plötzlich der Schlüssel erneut im Schloss herumgedreht wurde. Ich war derart in meinen Gedanken versunken gewesen, dass ich die herannahenden Schritte gar nicht gehört hatte.
    Die Tür ging auf und draußen stand, begleitet von einem grimmig dreinschauenden Sorger, ein junger Priester. Im fahlen Licht glaubte ich zuerst, es wäre Malcolm, der mir da gegenüberstand. Aber ich erkannte schnell, dass ich mich getäuscht hatte. Der Priester hatte zwar in etwa Malcolms Statur, und war wahrscheinlich nur wenige Jahre älter als dieser – vermutlich hatte er seine Priesterweihe erst vor kurzer Zeit abgelegt –, sonst aber hatte er wenig Ähnlichkeit mit dem Freund. Er wirkte etwas fahrig, wie er so dastand, sich mit einer Hand in den kurzen aber dichten Haarschopf fassend, gerade so als müsse er sich diesem aus dem Gesicht heraushalten. Eine Nickelbrille mit kleinen runden Gläsern saß auf einer leichten Andeutung einer Hakennase und umrahmten ein Paar freundlich dreinblickender Knopfaugen. Dennoch versuchte er angestrengt, seiner Stimme einen Ton von Würde und väterlicher Strenge zu verleihen, als er sagte:
    „Liam O’Sullivan!“
    Ich fuhr unwillkürlich zusammen. Ich hatte meinen Namen nie genannt, auch nicht als die Hendersons uns hier abgeliefert hatten. Ja, ich hatte überhaupt keinen Namen genannt. Keiner von uns. Und nun, da ich’s mir genauer überlegte, fiel mir auf, dass wir auch gar nicht erst danach gefragt worden waren. Hatten die Ordenschwestern bereits da schon gewusst, mit wem sie es zu tun hatten? Nein, das erschien mir doch unwahrscheinlich. Vermutlich hatten sie wohl angenommen, ohnehin nur belogen zu werden, und hatten sich auf weitaus bessere Möglichkeiten verlassen, unsere Identitäten festzustellen – über die sie ja, wie ich bereits wusste, sehr wohl verfügten. Und wenn nicht sie selbst, so doch auf jeden Fall das Ordinariat. Ja, das machte durchaus Sinn. In den Augen unbedarfter Jugendlicher wäre das plötzliche geheimnisvolle Wissen um unsere Herkunft nur eine weiterer Beleg, für die stets gepriesene Allwissenheit der Kirche der Unverderbten Wahrheit. Und hätte ich nicht gewusst, was ich nun einmal wusste – so wenig dies auch sein mochte –, so hätte das unvermutete Nennen meines Namens sicherlich großen Eindruck auf mich gemacht und mich wohl auch gebührend eingeschüchtert. So aber sah ich dem Priester nur trotzig entgegen.
    Er blickte mich durchdringend an. Für einen kurzen Moment hatte er so gar nichts mehr von dem fahrigen Jungpriester, als der er mir noch vor wenigen Augenblicken erschienen war. Doch schon wandelte sich sein Gehabe wieder. Seine Stimme hatte einen leicht unsicheren Klang, als er sagte:
    „Steh auf! Der Bischof will dich sehen!“
    Ich war verblüfft. Zu verblüfft, um den Gedankengang weiter zu

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