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Das Habitat: Roman (German Edition)

Das Habitat: Roman (German Edition)

Titel: Das Habitat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Luzius
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gewusst, wie ich sie hätte finden sollen. Wen hätte ich fragen können? Der neuerliche Gedanke an sie ließ mir sofort das Herz höher schlagen. Ich zögerte keinen Augenblick. Ich bahnte mir einen Weg durch die Menge und folgte dem Mann. Es war Markttag und von überall aus dem Umland waren Farmer gekommen, die nun ihre Waren feilboten. Ich hatte Angst, ihn im Gedränge zu verlieren. Doch da er die meisten anderen Männer um gut einen Kopf überragte, war es leichter als gedacht.
    Als er an einem der Stände stehen blieb, hielt ich mich in einiger Entfernung. Gut eine halbe Stunde mochte er anschließend wohl durch das Gewühl an Menschen und Waren gegangen sein. Als er den Markt schließlich verließ, hätte ich ihn beinahe verloren. Ich erstand gerade eine Portion in Papier eingewickelter Esskastanien, die von einer älteren Frau angeboten wurden und einfach zu verführerisch geduftet hatten. Ich sah den Mann gerade noch auf eine der kleinen Seitenstraßen zugehen. Ich erreichte diese jedoch noch rechtzeitig, um zu beobachten, wie er am anderen Ende um eine Hausecke verschwand.
    Hier, nur wenig entfernt vom Trubel des Marktplatzes, hatten sich die Gehwege schnell geleert. Nur wenig Menschen waren hier unterwegs. Ein Bierkutscher lud gerade eine Ladung schwerer Fässer vor einem Pub ab.
    Ich folgte dem schwarzen Mann durch mehrere verwinkelte Gassen und landete schließlich in einem jener Viertel, die ich zuvor stets gemieden hatte. Mir war klar, dass ein Fremder – im Gegensatz zu den stark belebten Gegenden des Stadtzentrums – hier wohl sofort auffallen würde.
    Ich sah, wie der Mann in einen Hauseingang trat. Einen Moment lang erwog ich, ihm zu folgen, ließ es dann aber doch lieber bleiben.
    Am Ende dieser Gasse – in Sichtweite des Hauses, in dem der Mann verschwunden war – fand ich ein unbewohnt aussehendes, halbverfallenes Haus. Hier bezog ich Posten.
    Ich wartete – worauf genau, das konnte ich nicht sagen. Niemand konnte mir schließlich dafür garantieren, dass Sarina und ihre Eltern in gerade jenem Haus leben würden, das ich nun aufmerksam beobachtete.
    Der Rest des Tages zog sich. Gelegentlich sah ich aus einer der Türen den einen oder andere Menschen heraustreten. Mehrere von ihnen hatten die gleiche schwarze Hautfarbe, wie der Mann, dem ich hierher gefolgt war. Ich war also auf der richtigen Spur. Einmal lief eine Gruppe spielender Kinder laut grölend an mir vorüber. Zwei von ihnen waren ebenfalls schwarz.
    Der Tag zog sich, ohne jedoch, dass ich Sarina erblickt hätte. Als es dämmerte trollte ich mich schließlich davon. Mein Magen knurrte und ich war müde von der sinnlosen Warterei.
     
     
    Am nächsten Tag allerdings hatte ich mehr Glück.
    Ich hatte gerade meinen Posten bezogen und wollte mich an dem Brot und den Wurstzipfeln, die ich in Papier eingeschlagen mitgebracht hatte, gütlich tun, da kam eine sofort vertraut aussehende Gestalt die Straße herunter. Es war Sarina. Als sie auf meiner Höhe war, trat ich aus meinem Versteck und stellte mich vor sie hin.
    Sie schrak kurz zusammen, als ich so unvermutet aus dem Nichts heraus vor ihr auftauchte, dann jedoch entspannten sich ihre Züge sofort wieder. Ein kaum wahrnehmbares Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Ein paar Augenblicke stand ich einfach nur so da. Ich hatte mir ausgemalt, was ich zu ihr sagen wollte, wenn ich ihr begegnen würde – nun aber, da sie tatsächlich vor mir stand, war mein Kopf auf einmal wie leergefegt.
    „Hallo Sarina...“, setzte ich schließlich verlegen an.
    Sie erwiderte nichts – sah mir nur tief und erwartungsvoll in die Augen.
    „Du wirst dich wahrscheinlich gar nicht an mich erinnern können...“, stammelte ich.
    Die Andeutung des Lächelns auf ihren Mundwinkeln verschwand. Sie legte den Kopf schief und ich glaubte, eine leichte Spur Verletztheit in ihrem Ton erkennen zu können, als sie sagte:
    „Nein. Wieso auch. Ich laufe ja andauernd herum und küsse fremde Jungs! Da kann man schließlich nicht von mir erwarten, dass ich mich an jeden einzelnen von ihnen erinnere!“
    Als sie aber meinen verwirrten Gesichtsausdruck sah, wurde ihr Tonfall sofort milder und das Lächeln um ihre Mundwinkel kehrte zurück – diesmal wesentlich deutlicher.
    „Natürlich erinnere ich mich an dich, Liam O’Sullivan!“
    Ich strahlte übers ganze Gesicht, als sie dies sagte. Ich musste wirklich einen besonders dämlichen Ausdruck zur Schau getragen haben, denn plötzlich warf sie den Kopf zurück und lachte.

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