Das Habitat: Roman (German Edition)
wenn ich vielleicht noch einmal seiner Hilfe bedürfte.
Ich nickte. Kurz darauf war er durch die gezackten Umrisse des Loches verschwunden.
Ich ließ noch ein oder zwei Stunden verstreichen, bis ich mir sicher zu sein glaubte, er wäre nun bestimmt nicht mehr in der Nähe. Dann kramte ich meine Habe zusammen und machte mich auf die Suche nach einem neuen Unterschlupf – möglichst weit weg von hier. Nicht nur wegen dieses Roger – auch meine nächtlichen Angreifer mochten vielleicht irgendwann doch noch zurückkehren.
Ein neuer Unterschlupf
Die Tage zogen vorüber, ohne jedoch, dass sich wirklich etwas Neues ereignet hätte. Immer wieder suchte ich den Hafen auf und hielt Ausschau nach der Gideon Brown. Vergebens. Weder über Brandon, noch über sein Schiff, erhielt ich auch nur den kleinsten Hinweis. Auch nicht als ich es erneut im Pub versuchte. Roisin gab mir die Adresse einer Frau, die mit dem alten Fischer gut bekannt sein sollte – doch auch hier konnte ich nichts weiter erfahren. Jack Brandon war dort schon seit mehreren Wochen nicht mehr gesehen worden war. Die Frau war mittleren Alters. Sie trug das Haar hochgesteckt und ihre Kleidung mochte wohl bestenfalls als leicht bezeichnet werden. Ich nahm an, dass sie hier eine ähnliche Rolle spielte, wie bei uns im Dorf Darlene Miller, der man nachsagte, für Geld, unverheirateten Männern gewisse Dienste anzubieten. Ich dankte ihr für die Auskunft und machte mich davon.
Ich hatte einen neuen Unterschlupf bezogen, der zwar gut verborgen war, jedoch nicht so tief in den Ruinen wie der letzte.
Nachdem Roger mich an jenem Abend verlassen hatte, war ich stundenlang in den Resten der einstigen Stadt umhergeirrt. Erst als der Morgen gedämmert hatte, hatte ich erschöpft Rast gemacht.
Und dann war der Zusammenbruch gekommen. Stundenlang hatte ich ins Leere gestarrt. Der Blick des Todes, die gebrochenen Augen des Mannes – dies alles hatte sich fest in meinem Geist eingebrannt. Nie werde ich diesen Ausdruck der Überraschung in seinem Gesicht vergessen, als er gestorben war. An den Rest des Tages habe ich kaum eine Erinnerung. Ich glaube, dass ich ein paar Stunden geschlafen habe – doch die Grenzen zwischen Schlaf und dem Dämmerzustand in dem ich mich befunden hatte, waren verschwommen. Erst am darauf folgenden Tag war ich in der Lage gewesen, mir ein neues Versteck zu suchen. Es hatte aber noch zwei weitere Tage gebraucht, bis ich mich getraut hatte, mich den bewohnten Vierteln wieder zu nähern.
Immer wenn ich nun den Stadtkern verließ, achtete ich sorgsam darauf, nicht verfolgt zu werden. Es kam jedoch zu keinem weiteren Zusammentreffen mehr, mit den Ruinenratten – wie der Mann mit der Hakennase sie genannt hatte. Auch ihm selbst war ich seit dem besagten Abend nicht mehr begegnet, obwohl ich jedes Mal wenn ich zum Hafen ging – oder über belebte Plätze – auf der Hut vor ihm war. Ich wollte ihm nicht zufällig in die Arme laufen. Trotzdem er mir zweifellos das Leben gerettet hatte, scheute ich eine weitere Begegnung mit ihm. Dieser Mann war mir einfach nicht geheuer.
So verbrachte ich denn die folgenden Tage in einer gewissen Ziellosigkeit. Allmählich begann mir auch das Geld auszugehen – doch eine Weile mochte es wohl noch reichen.
Einmal ging ich sogar in den Zoo. Er lag ein gutes Stück außerhalb und wirkte, als wäre er einstmals sehr viel größer und schöner gewesen. Heute war er nur noch ein schwacher Abglanz einer längst vergangenen Zeit. Dennoch, ich sah wieder einen Elefanten – und sogar einen Löwen. Doch der Anblick deprimierte mich, wie er da so in seinem engen Gehege auf und ab ging. Es war ihm anzusehen, dass er die viel zu engen Grenzen seiner Welt zu überwinden suchte. Obgleich es ihm an nichts zu mangeln schien, so war er doch nichts weiter, als eine erbarmungswürdige Kreatur, die Tag für Tag die Mauern ihrer Welt abschritt, ohne auch nur das kleinste Fünkchen Hoffnung, dem Leben, in das sie hineingeboren war, jemals entrinnen zu können.
Ich ging nie wieder hin.
Dann eines Tages – ich schlenderte gerade über einen großen Marktplatz, unweit des Stadtzentrums – sah ich ihn: Ein Mann. Etwa vierzig Jahre alt. Groß, kräftig – und schwarz!
Sofort kam mir in Erinnerung, was ich über diese Menschen erfahren hatte. Sie lebten zurückgezogen in ihrem eigenen Viertel. Sie blieben unter sich. Genau wie die meisten anderen Gruppen. Oft hatte ich an Sarina gedacht, in den letzten Tagen. Doch hatte ich nicht
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