Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels
vielleicht war dem alten Russell ein wenig das Herz weich geworden. Der Junge trug ein weißes Hemd und einen neuen Overall. »Hi«, sagte Hank, als Arvin näher kam. Das Gesicht des Jungen war hager und verschwitzt und bleich. Er sah nicht gut aus, überhaupt nicht gut. Sah so aus, als hätte er Blut oder so etwas auf Gesicht und Kleidung.
Arvin blieb ein paar Meter vor Hank stehen und machte die Taschenlampe aus. »Der Laden ist zu«, sagte Hank. »Aber wenn du was brauchst, kann ich noch mal aufschließen.«
»Wie kann man hier Kontakt mit der Polizei aufnehmen?«
»Na ja, entweder du machst Ärger oder du rufst sie an, schätze ich«, antwortete Hank.
»Können Sie sie bitte für mich anrufen? Ich hab noch nie ein Telefon benutzt.«
Hank griff in die Brusttasche und schaltete das Radio aus. Die Reds kriegten ohnehin ihr Fett weg. »Was willst du denn vom Sheriff, Junge?«
»Er ist tot«, sagte der Bursche.
»Wer?«
»Mein Dad«, sagte Arvin.
»Du meinst deine Ma, oder?«
Der Junge machte kurz ein verwirrtes Gesicht, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, meine Ma ist seit drei Tagen tot. Ich rede von meinem Dad.«
Hank stand auf und griff in der Hosentasche nach dem Schlüssel zur Hintertür des Ladens. Er fragte sich, ob der Junge wohl vor Kummer den Verstand verloren hatte. Er erinnerte sich an die schwere Zeit, die er durchgemacht hatte, als seine Mutter gestorben war. Über so etwas kam man eigentlich nie hinweg, das wusste er. Noch immer dachte er jeden Tag an sie. »Komm rein. Du siehst durstig aus.«
»Ich hab kein Geld«, sagte Arvin.
»Macht nichts«, entgegnete Hank. »Ich schreib’s an.«
Sie gingen hinein und Hank schob den Deckel der Kühltruhe auf. »Was für eine möchtest du?«
Der Junge zuckte mit den Schultern.
»Hier hast du eine Kräuterlimo«, sagte Hank. »Die habe ich auch immer getrunken.« Er gab dem Jungen die Flasche und kratzte sich den Stoppelbart. »Du heißt Arvin, richtig?«
»Ja, Sir«, antwortete der Junge. Er stellte seine Taschenlampe auf die Theke, trank einen großen Schluck und dann noch einen.
»Also, wie kommst du auf die Idee, dass was mit deinem Dad nicht stimmt?«
»Sein Hals«, sagte Arvin. »Er hat sich die Kehle durchgeschnitten.«
»Das ist doch wohl kein Blut an dir, oder?«
Arvin besah sich Hemd und Hände. »Nein«, antwortete er. »Das ist Kuchen.«
»Wo ist dein Dad?«
»Ein Stück vom Haus entfernt«, antwortete der Junge. »Im Wald.«
Hank nahm das Telefonbuch unter der Theke hervor. »Hör mal«, sagte er, »ich ruf ja gern die Polizei für dich an, aber du verarschst mich doch nicht, oder? Die können es gar nicht leiden, umsonst anzurücken.« Erst vor ein paar Tagen hatte Marlene Williams ihn beim Sheriff anrufen und wieder mal einen Spanner melden lassen. Das war das fünfte Mal in knapp zwei Monaten. Der Diensthabende hatte nur aufgelegt.
»Warum sollte ich das tun?«
»Nein«, pflichtete Hank ihm bei. »Das würdest du wohl nicht.«
Er telefonierte, dann gingen Arvin und er zur Hintertür hinaus, Hank nahm seine Biere mit. Sie gingen ums Haus und setzten sich auf die Bank vor dem Laden. Eine Wolke aus Motten umschwirrte das Sicherheitslicht über den Benzinpumpen. Hank dachte daran, wie der Vater des Jungen letztes Jahr Lucas Hayburn verprügelt hatte. Lucas verdiente es wohl nicht anders, aber er hatte sich nie wieder davon erholt. Erst gestern hatte er den ganzen Morgen vornübergebeugt auf dieser Bank gehockt; ein dicker Speichelfaden hatte ihm dabei aus dem Mund gehangen. Hank machte ein neues Bier auf und zündete sich eine Zigarette an. Er zögerte einen Augenblick und bot dem Jungen dann auch eine an.
Arvin schüttelte den Kopf und trank einen Schluck. »Die werfen heute Abend ja gar keine Hufeisen«, sagte er nach ein paar Minuten.
Hank sah die Senke entlang zum
Bull Pen
hinüber. Vier, fünf Autos standen auf dem Hof. »Machen wohl eine Pause«, sagte er, lehnte sich zurück an die Ladenmauer und streckte die Beine aus. Mildred und er waren damals in den Schweinestall drüben bei
Platter’s Pasture
gegangen. Sie hatte gesagt, sie würde den satten Geruch von Schweinemist mögen und sich die Dinge gern ein wenig anders vorstellen als die meisten anderen Mädchen.
»Was stellst du dir denn vor?« hatte Hank sie mit leichter Sorge in der Stimme gefragt. Seit Jahren hatte er gehört, wie die Jungen und Männer davon sprachen, eine Frau flachzulegen, doch nicht ein einziges Mal hatte einer von ihnen etwas von
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