Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
Luft. »Er braucht einen Nachkommen, der das alles einmal erbt. Zumindest seinen Anteil. Sonst fällt das gesamte Unternehmen an die Familie seines Bruders. Und das ist ihm aus Gründen, die er nicht näher ausgeführt hat, nicht lieb.«
Auch wenn ich Pit Hensen alles andere als in mein Herz geschlossen hatte – was ihm in dieser Sache Unbehagen bereitete, ahnte ich. Denn, wenn ich es richtig sah, würden dann der Sklavenhalter Christian, dieser ungehobelte Geselle, und dessen Vater im fernen Saint Croix alles erben. Das würde mir als Erblasser auch missfallen! Trotzdem sah ich nicht im Geringsten ein, warum ich dafür herhalten sollte.
»Gut, aber warum soll ich ausbaden, dass sein Neffe so ein Schuft ist? Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass ich einen Mann heiraten werde, nur um ihm einen Erben zu schenken? Hast du Mutter geheiratet, weil du Erben wolltest, oder weil du sie liebst?«
Vater räusperte sich verlegen. Offenbar hatte ich ins Schwarze getroffen.
»Nun sag schon, Vater, war es Liebe bei Mutter und dir?«
Vater schüttelte unwirsch den Kopf. »Wer hat dir bloß solche Flausen in den Kopf gesetzt? Eine Heirat aus Liebe? Wo gibt es denn so etwas? Nein, unsere Ehe wurde von Mutters und meiner Familie arrangiert. Mutter brachte eine ansehnliche Mitgift mit, weil ihre Brüder das elterliche Handelshaus erbten, und ich war als wohlhabender Handelsherr eine gute Partie …«
Vaters schonungslose Ehrlichkeit erschreckte mich. »Aber habt ihr euch denn gar nicht gemocht?«
Vater lachte verlegen. »Sie war das hübscheste Mädchen, das ich je gesehen hatte. Und wie ich sie wollte. Ich habe sie auf einem Fest kennengelernt und keinen Tanz ausgelassen …«
Ich musste unwillkürlich an Hauke denken. Wir hatten auch den ganzen Abend miteinander getanzt.
»… und nach dem Abend habe ich meinen Eltern davon berichtet. Mein Vater hat sich mit Mutters Vater in Verbindung gesetzt. Es gab keine Bedenken, und so konnte ich ihr den Hof machen und um ihre Hand anhalten. Natürlich muss es passen. Und das war bei unseren beiden Familien der Fall.«
Mir blieb die Spucke weg. Das sagte der Mann, der mich gerade zu einer Ehe mit einem alten Kerl überreden wollte. Zugegeben, Pit Hensen war nicht unansehnlich. Das musste ich bei allem Widerwillen gegen ihn zugeben. Wahrscheinlich war er früher mal ein gut aussehender Mann gewesen. Nun besaß er ein kleines Bäuchlein. Und er war sicher auch ein wenig jünger als Vater, wenngleich ich aus lauter Trotz auch weiterhin das Gegenteil behaupten würde.
»Warum ist er denn nicht verheiratet? Ich meine, alt genug ist er ja wohl. Der könnte seinen Erben schon zwanzigmal haben!«, stieß ich hervor.
Vater seufzte tief. »Seine Frau starb einst im Kindbett und mit ihr der Säugling.«
»Vater, du willst nicht allen Ernstes von mir verlangen, dass ich ihn freiwillig heirate, oder?«
Vater ruderte hilflos mit den Armen in der Luft herum. »Nein … ich weiß nicht … doch … es wäre für uns alle das Beste.«
»Für uns alle?« Ich schrie so schrill auf, dass sich meine Stimme überschlug.
»Bitte nicht streiten«, erklang da eine flehende Stimme. Ich fuhr herum und erblickte Mutter. Sie sah zum Gotterbarmen aus.
»Bitte leg dich ins Bett. Ich mache das schon!«, befahl Vater ihr. Aus seinen Augen sprach große Sorge. Ich sah fragend von einem zum anderen.
»Was ist mit dir Mutter?«, wollte ich wissen, fest entschlossen, mich nicht mit einer lapidaren Beschwichtigung zufriedenzugeben. Zu meiner Überraschung sagte sie gar nichts, sondern ließ sich auf den Stuhl neben mir fallen. Ein furchtbarer Hustenanfall überfiel sie. Ich war vor Angst wie gelähmt. Es ist hoffentlich nichts Schlimmes, ging mir durch den Kopf, doch da sah ich voller Entsetzen die roten Spritzer auf dem blütenweißen Spitzentuch, das sie sich vor den Mund gehalten hatte.
»Mutter, um Gottes willen!«, schrie ich auf und eilte zu ihr. »Nun sag mir endlich die Wahrheit.«
»Mutter leidet unter der Schwindsucht«, erwiderte mein Vater statt ihrer, und seine Augen wurden feucht. Das hatte ich bei meinem Vater noch niemals gesehen, und ich ließ mich mit klopfendem Herzen zurück auf meinen Stuhl fallen.
Mir lagen so viele Fragen auf der Zunge, aber ich war unfähig zu sprechen. Denn eines war mir auch ohne Nachfrage klar. Meine Mutter war sterbenskrank!
»Wie lange?«, presste ich schließlich gequält hervor.
»Der Arzt will sich nicht festlegen«, erwiderte Mutter in einem derart
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