Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
konnte ich nichts unternehmen, aber ich hatte Glück. Ohne dass ich auch nur ein Wort gegen Arthur Hamiltons Tochter vorbringen musste, hatte sich mein kluges Kind eine eigene Meinung gebildet. Sie konnte die »hochnäsige Ziege«, wie sie Elizabeth nannte, nicht leiden. Einmal hatte Elizabeth Henriette damit gehänselt, dass sie ein uneheliches Kind wäre. Meine Tochter hatte das Mädchen daraufhin zu einem Faustkampf herausgefordert, den Henriette haushoch gewonnen hatte.
Überhaupt gebärdete sie sich wie ein Junge. Sie sah zwar aus wie ein blonder Engel, aber diese Fassade täuschte. Dahinter lauerte ein burschikoses Wesen. Sie konnte mit den meisten Mitschülerinnen nichts anfangen, weil die nur Männer im Kopf hatten, wie meine Tochter stets tadelnd bemerkte. An ihr war ein Junge verloren gegangen.
Das änderte sich auch nicht, als die Schule vorbei war. Henny war die Einzige aus der Klasse, die nicht zu Elizabeths Hochzeit mit dem Plantagenbesitzer Mister Fuller eingeladen worden war. Meine Tochter wäre auch nicht hingegangen, weil sie solche »hohlköpfigen Gesellschaften«, wie sie das nannte, verabscheute. Es war nicht immer einfach mit ihr, doch ich ließ ihr alles durchgehen, weil ich sie abgöttisch liebte und in ihr den kompromisslosen Charakter ihres Vaters wiedererkannte. Allerdings wollte sie nicht, dass ich über ihn redete. Sie meinte, das mache ihn auch nicht wieder lebendig. Ich habe ihr allerdings nie gesagt, wie er zu Tode gekommen ist. Das hätte selbst meine robuste Tochter nicht verkraftet. Er wäre bei einem Unfall ums Leben gekommen, behauptete ich. Und da außer mir offenbar nur Arthur Hamilton wusste, was sich wirklich zugetragen hatte, musste ich nicht befürchten, dass ihr eines Tages jemand die Wahrheit verraten könnte.
Ich bin Arthur Hamilton nur ein einziges Mal nach dieser entsetzlichen Geschichte begegnet. Es war wegen des Gemäldes. Man hatte mir zugetragen, dass er ein Bild von der Hanne von Flensburg besaß. Ich hatte meinen Geschäftsführer zu ihm geschickt mit der Bitte, es zu verkaufen. Hamilton hatte sich geweigert und darauf bestanden, dass ich persönlich vorbeikommen müsse. Schweren Herzens kam ich seiner Aufforderung nach. Ich hätte mich am liebsten schon in der Tür übergeben, als ich den inzwischen enorm fett gewordenen Widerling hinter seinem Schreibtisch erblickte. Er nickte mir überheblich zu.
Ich hielt mich nicht mit langen Vorreden auf. »Ich möchte Ihnen das Gemälde der Hanne von Flensburg abkaufen«, sagte ich ohne Umschweife.
»Warum? Was haben Sie mit dem Schiff zu tun?«
»Ich frage mich vielmehr, wie das Bild des Schiffes in Ihre Hände gelangt ist?«
»Ich sammle Bilder von Schiffen. Und dieses wurde mir günstig angeboten. Ein Kaufmann aus Saint Croix hatte es in seinem Besitz.«
Es fiel mir schwer, aber ich beschloss, besser den Mund zu halten. Ich wollte vermeiden, dass er etwas zu Persönliches über mich erfuhr.
»Was wollen Sie dafür?«
»Es ist unverkäuflich. Aber wenn Sie mir das Geheimnis Ihres Rums verraten, würde ich eine Ausnahme machen …«
»Nur über meine Leiche!«, zischte ich.
»Ich habe nur eine Frage, die mich beschäftigt, seit wir uns das letzte Mal im Haus meiner Schwester gesehen haben.«
Sein ekelhaftes Grinsen machte mir Angst. Was mag er bloß von mir wollen, fragte ich mich nervös.
»Haben Sie Ihren Liebsten damals noch gefunden?« Er lachte dreckig.
Ich biss die Zähne zusammen. Ich würde mich nicht von ihm provozieren lassen! Stattdessen erhob ich mich. Lieber verzichtete ich auf das Bild, als mit diesem Mann auch nur noch eine Sekunde länger in einem Raum zu verweilen.
Er hatte seine Augen jetzt zu gefährlichen Schlitzen zusammengekniffen. »Ist Ihr Bastard von ihm?«
»Keine Sorge. Kein Mensch wird je erfahren, dass meine Tochter Ihre Nichte ist. Ich habe mit mir gekämpft, ob ich Ihre grausame Tat öffentlich mache, aber Sie wissen ja selbst, wem man damals geglaubt hat. Er galt ja noch als Sklave. Aber seien Sie sich sicher: Sie werden Ihre Strafe bekommen!«, stieß ich verächtlich hervor.
Einem plötzlichen Impuls folgend lief ich um den Schreibtisch herum und schlug dem Mann mit voller Wucht ins Gesicht. Bevor er aus seiner Erstarrung erwachte, hatte ich sein Büro bereits verlassen. Ich kann nicht behaupten, dass ich es je bedauert habe. Auch nicht, als er wenige Wochen später einem Herzanfall erlag. Ich hielt es für die gerechte Strafe. Ich kann nur hoffen, dass er vorher keinen
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