Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
Ton darüber hat verlauten lassen, dass Henriettes Vater Mulatte war. Nicht, weil ich nicht dazu stehe, sondern weil ich wusste, wie hämisch einige Leute darauf reagieren würden. Das hoffe ich natürlich umso mehr, seit du, kleine Valerie, geboren bist, weil du einiges von deinem Großvater geerbt hast.
Valerie, während ich das schreibe, schläfst du süß in deiner Wiege. Du siehst so friedlich aus, und ich könnte es niemals ertragen, wen dir je ein Leid geschähe. Deshalb sollst du eines Tages erfahren, wo deine Wurzeln sind. Sei mir nicht böse, aber über deine Mutter und den heutigen Tag will ich nur das Nötigste aufschreiben. Sonst bricht es mir das Herz.
Es war kein Unfall. Deine Mutter hatte sich in einen jungen Kubaner verliebt, den Sohn spanischer Pflanzer, der sich im Kampf gegen die Folgen der Sklaverei engagierte. Genau wie deine Mutter. Sie hasste Ungerechtigkeiten. Und die Lage der ehemaligen Sklaven war tatsächlich schlimm, nachdem niemand mehr wagte, das Gesetz zur Abschaffung der Sklaverei zu ignorieren. Die Plantagenbesitzer holten sich billige Arbeitskräfte ins Land, viele Inder, sodass die Schwarzen oftmals in den ärmlichsten Verhältnissen dahinvegetierten. Gegen dieses Unrecht setzten sich deine Eltern unermüdlich ein. Sie errichteten Armenküchen und kümmerten sich um die gesundheitliche Grundversorgung. Dein Vater Pablo war Arzt. Die beiden lebten zuletzt in wilder Ehe in Havanna zusammen, bis sie nach zweijähriger Abwesenheit vor ein paar Monaten zurückkehrten. Mit dir! Dass es dich gab, grenzte für mich an ein Wunder, denn Henriette und Pablo wollten auf keinen Fall Kinder. Sie waren auch nur gekommen, um dich in meiner Obhut zu lassen. Denke nicht, dass deine Eltern dich nicht geliebt haben. Im Gegenteil, nur waren sie mit ihrem Kampf gegen die Ungerechtigkeiten der Welt derart beschäftigt, dass du einfach keinen Platz in ihrem Leben gehabt hättest.
Vor knapp einer Woche reisten sie nach Morant Bay, einer Stadt im Südwesten der Insel. Dort war ein paar Tage zuvor ein Aufstand ausgebrochen, nachdem man einen Schwarzen verhaftet hatte, nur, weil er eine verlassene Plantage betreten hatte. Ich hatte kein gutes Gefühl, als deine Mutter mir von ihrem Plan erzählte, sich dort auf die Seite der Rebellen zu schlagen. Endlich könne man es den weißen Sklaventreibern einmal zeigen, sagte sie. Natürlich verstand ich ihr Anliegen, aber ich fand, dass sie sich als junge Mutter nicht in solche Gefahr bringen durfte. Sogar dein Vater versuchte, sie davon abzubringen, doch wenn sich deine Mutter etwas in den Kopf gesetzt hatte, war man machtlos. Ich weiß noch, wie schrecklich mir zumute war, als ich sie zum Bahnhof brachte, aber ich ließ es mir nicht anmerken. Ich winkte ihnen lange hinterher und blieb mit dir allein zurück. Seitdem habe ich keine Nacht ruhig geschlafen, und nun habe ich die Gewissheit. Mein alter Freund Doktor Paul Brown, der kurz nachdem ich ihm den letzten Korb gegeben hatte, endlich eine andere Frau heiratete, war auch dorthin gereist, um sich dem Aufstand anzuschließen. Er ist heute zurückgekehrt und hat mir berichtet, dass man deine Eltern erschossen hat. Sie starben Hand in Hand. Er hat noch geglaubt, er könne ihnen helfen, aber man hat keinen Arzt zu den Verletzten gelassen. Es muss grauenhaft gewesen sein.
Ja, mein kleines unschuldiges Wesen in deiner Wiege. Bis ich dir an deinem einundzwanzigsten Geburtstag dieses Tagebuch übergebe, will ich dich von allem Bösen fernhalten, besonders von den Hamiltons.
Du sollst eine unbeschwerte Jugend erleben, aber ich, ich werde mich fortan in Schwarz kleiden als Zeichen meiner großen Trauer. Mögest du mehr Glück haben als ich und eines Tages mit deiner großen Liebe eine gemeinsame Zukunft haben.
28
Montego Bay, Jamaika, Februar 1884
V alerie legte das Buch mit dem braunen Lederumschlag unter Tränen beiseite. Was würde sie darum geben, wenn sie ihre Großmutter in diesem Augenblick umarmen und drücken könnte. Aber sie war allein mit der kleinen Georgina.
Valerie stieß einen tiefen Seufzer aus. Was würde ihre Großmutter wohl sagen, wenn sie sie jetzt so sehen könnte? Hier, an ihrem Lieblingsplatz am Fenster. Valerie erhob sich und starrte gedankenverloren zu der Palmenallee hinunter. Plötzlich sah sie, wie sich ein Reiter näherte. Ihr Herz drohte schier stehen zu bleiben, als sie erkannte, dass es James war. Er ist ein Hamilton, durchfuhr es sie eiskalt, während sie die Treppen hinunterlief.
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