Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
endlich auf!«
Ich stieß einen markerschütternden Schrei aus, bis mir Heinrich den Mund zuhielt. Als er seine Hand wieder fortnahm, brach ich in lautes Schluchzen aus. Die Wahrheit drang mit aller Macht in meine Eingeweide, als wollte sie mein Inneres zerfetzen.
»Bitte, hör auf!«, verlangte Heinrich energisch. »Sag mir lieber, warum du das getan hast und … wie?«
Ich sah ihn irritiert an, denn ich ahnte nicht, worauf seine Frage abzielte.
Heinrich hockte nieder und beugte sich über meinen Mann. Angewidert zuckte er zurück. »Wie hast du es geschafft, ihn in dem Fass zu ertränken? Oder hat Hauke Jessen es in deinem Auftrag getan?«
»Was redest du denn da?«
»Tu nicht so! Es hat ihn jemand ermordet.«
»Das sehe ich auch«, entgegnete ich beinahe trotzig.
»Was machst du um diese Zeit im Rumkeller?«
»Was soll die Frage? Was treibt dich denn hierher?«, konterte ich.
»Christian Hensen wollte, dass ich morgen früh eines der Fässer mit zurück nach Saint Croix nehme, damit der Destillateur ihn drüben mit anderen Destillaten mischt, um eine Geschmacksvielfalt zu erzeugen … aber warum erzähle ich das überhaupt? Wir haben dich bei deinem ermordeten Mann erwischt und nicht umgekehrt!«
»Ich erhielt eine Botschaft, dass Pit einen Schwächeanfall erlitten habe und ich sofort zum Rumlager kommen solle.«
»Und wo hast du sie?«, hakte er fordernd nach.
Ich zuckte mit den Achseln. »Ein fremder Bursche ließ es mir über mein Mädchen ausrichten.«
Heinrich fasste sich nervös in seinen Bart und zwirbelte darin herum.
Da erst begriff ich, was er vermutete.
»Du glaubst nicht etwa, dass ich meinen Mann umgebracht habe, oder?«
»Ich glaube gar nichts, aber mit Verlaub, es weist alles darauf hin! Du hast dich sehr merkwürdig verhalten, und ein Motiv hättest du auch. Es weiß doch jeder in der Stadt – bis auf deinen armen Vater, den wir mit den Gerüchten verschont haben, dass du mit Hauke Jessen flüchten wolltest. Und dass dein Geliebter im letzten Moment kalte Füße bekommen hat. Wolltet ihr damit …«, er deutete vorwurfsvoll auf den toten Pit, »… das Problem Pit Hensen endgültig beseitigen?«
»Nein, nein, ich habe an Hauke Jessen schon lange keinen Gedanken mehr verschwendet.«
»Und du schwörst, dass du ihn nicht beauftragt hast, deinen Mann umzubringen?«
»Aber wie käme ich dazu? Ich habe diesen Mann nie wiedergesehen. Ich nehme an, er hat sich auf die Westindischen Inseln abgesetzt.«
»Und wie erklärst du dir, dass Christian Hensen ihn gestern in der Stadt gesehen hat?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung. Ich schwöre, ich habe weder an ihn gedacht noch ihn gesehen. Ich wollte ein Kind von Pit. Er war ein guter Mann. Mir hat es an nichts gefehlt. Warum in aller Welt sollte ich ihm den Tod wünschen?«, brach es aus mir heraus.
Mein Schwager legte seine Stirn in grüblerische Falten. »Dann hat der Mann es vielleicht allein geplant in der Hoffnung, dass du ihn nach Pits Tod heiratest«, sinnierte er.
Ich wurde von Augenblick zu Augenblick immer klarer im Kopf. Das war doch ausgemachter Blödsinn. Hauke hätte Pit nie so offensichtlich ermordet. Wenn er das gewollt hätte, hätte er einen Unfall vorgetäuscht, aber seinen Kopf in das Rumfass zu drücken, bis er tot war? Oder hatte er geglaubt, man würde den Vorfall für ein Unglück halten? Vermuten, dass Pit sich bei einer Geruchsprobe zu tief über das Fass gebeugt und sein Gleichgewicht verloren hatte? Nein, das war mehr als absurd.
Ich war mir ganz sicher. Man sollte sehr wohl denken, dass ein Mord geschehen war! Und dass ich als Mörderin galt! Allein das hatte der Mörder beabsichtigt, aber warum? Wer hatte ein Interesse, Pit zu ermorden und mich ins Gefängnis zu bringen? Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Es gab nur einen Nutznießer! Christian Hensen! Er würde das Imperium seines Onkels erben, weil es keine anderen männlichen Erben gab. Er und sein Vater Jakob im fernen Saint Croix. Mir wurde gleich noch einmal übel.
»Es war nicht Hauke Jessen«, stieß ich heiser hervor.
»Woher willst du das wissen?«, fragte Heinrich in scharfem Ton.
»Weil es keinen Sinn ergibt. Deshalb! Ich habe einen ganz anderen Verdacht«, erwiderte ich entschieden.
In diesem Moment ertönten in der Ferne aufgeregte Stimme. Heinrich horchte erschrocken auf und griff nach meiner Hand. »Kennst du dich hier aus? Gibt es einen Nebenausgang?«
Ich versuchte mich zu erinnern. Dann fiel mir der winzige
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