Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
es nie andere Menschen geben.
»Ich weiß, ich hätte erst anrufen sollen, ob du meine Hilfe überhaupt willst«, sagte er mit einem dunklen, schwermütigen Blick, der sie an die Leidenschaft vergangener Zeiten erinnerte. »Aber ich dachte, vielleicht lehnst du meine Hilfe ab, und dann hätte ich trotzdem kommen müssen, und es wäre alles ganz peinlich gewesen.«
Er ist sehr britisch geworden, dachte Charlotte. Als ob er es bewußt darauf angelegt hatte. Sie erinnerte sich daran, wie er sich gegen die Versuche seines Vaters gewehrt hatte, ihn zu einem richtigen Amerikaner zu machen, obwohl Jonathan Sutherland rein technisch gesehen Amerikaner war – so stand es in seiner Geburtsurkunde. Ihr fiel ein, daß es das erste war, was sie über ihn erfahren hatte: daß sein Herz nicht für diesen Erdteil schlug. Deshalb hatte sie sich in ihn verliebt.
»Woher wußtest du, daß ich Hilfe brauche?«
Jonathan schloß die Tür hinter sich, zog den nassen Regenmantel aus und antwortete: »Ich gucke Fernsehen. Als ich von den Todesfällen hörte, habe ich ein paar Telefongespräche geführt.« Ein kurzes, schiefes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Ich habe immer noch Freunde bei der Agentur. In den ersten beiden Fällen scheint die Verpackung nicht beschädigt gewesen zu sein, bevor die Opfer sie öffneten. Eine vorläufige Grobanalyse der unverdauten Produkte ergab, daß der gesamte Inhalt der Packungen verändert worden war, nicht nur das, was die Opfer zu sich genommen hatten. Ich betrachte das als deutlichen Hinweis dafür, daß die Produkte bereits hier im Werk manipuliert worden sind. Nun weiß ich zufällig«, er stellte seine schwarze Nylonreisetasche auf ihren Schreibtisch und öffnete den Reißverschluß eines Seitenfachs, »daß die chemische Verarbeitung und Herstellung hier bei Harmony vollständig computerisiert ist …«
»Du hast deine Hausaufgaben gemacht«, sagte sie, verblüfft, wie sehr er immer noch die Fähigkeit besaß, die Dinge in die Hand zu nehmen – ein richtiger Mann.
»Darum werden wir den Täter, oder zumindest seine Spuren, irgendwo in eurem Datensystem finden. Und da ich zufällig der absolut beste Computerdetektiv auf diesem Erdball bin …«
»Kannst du es besser als ein Team von Bundesagenten?«
Jonathan lachte auf. »Die Kerle können nicht mal eine Festplatte von einer Schallplatte unterscheiden. Also gut. Was kannst du mir noch über den Fall erzählen?«
Sie sah seinen herausfordernden Blick und verstand, daß es bei Jonathans Erscheinen hier um weit mehr ging als um die Suche nach einem Killer. Jonathan hatte sechsundzwanzig Jahre Geschichte mitgebracht – ihre gemeinsame Geschichte. Charlotte spürte die plötzliche Angst, daß sie im Begriff waren, ein sehr gefährliches Raubtier von der Kette zu lassen.
Sie wollte sagen: »Ich bin froh, daß du gekommen bist.« Aber die Worte kamen ihr nicht über die Lippen. Statt dessen erzählte sie ihm alles, was sie wußte, auch von dem Unfall in der Garage, und dann zeigte sie ihm die E-Mails.
Finster betrachtete er den Bildschirm. »Wer wußte von der Sache mit der Garage?«
»Meine Haushälterin und ihr Mann. Ich habe es auch Desmond erzählt. Aber jemand könnte uns belauscht haben. Es war bestimmt ein Unfall, Jonathan, und dieser Mensch will mir einfach nur Angst machen.«
Sein Blick war ausdruckslos. »Wozu soll diese öffentliche Erklärung dienen, die du innerhalb von zwölf Stunden abgeben sollst?«
Charlotte studierte sein Profil und erinnerte sich an eine Zeit, in der Jonathan seine große Nase peinlich gewesen war. Aber natürlich war er mit der Zeit in sie hineingewachsen und hatte zudem noch ein kräftiges Kinn und eine Stirn bekommen, die sie immer sexy gefunden hatte. Sein dunkelbraunes Haar war nach wie vor dicht und ohne jegliches graues Haar, obwohl er in Kürze vierzig werden würde. Sein Körper machte einen durchtrainierten Eindruck. »Erpressung, nehme ich an«, antwortete sie und merkte, wie das alte Verlangen in ihr aufwallte. »Eine solche Erklärung würde meine Firma ruinieren. Der Kerl hofft zweifellos, ich würde ihm anbieten, mich freizukaufen.«
»Und die Todesursache beim dritten Opfer, die Gehirnblutung … du bist sicher, daß niemand davon weiß?«
»Agent Knight hat mir gesagt, daß er diese Information zurückhalte. Ich habe nicht einmal Desmond davon erzählt. Wer also außer dem Killer könnte davon wissen?«
»Es gibt Wege, auch an geheime Informationen heranzukommen«,
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